Was ein Arbeitsunfall und Glück gemeinsam haben
10.09.2020
Bildung, Karriere & Schulungen
Als ein Stammkunde Marcell Engel mit einem vermeintlichen Standardauftrag betraute, war für den Tatortreiniger noch nicht klar, dass dieser Einsatz sein Leben verändern würde. "Der Auftraggeber schilderte kurz, dass es wohl nach einer wilden Partynacht zu Handgreiflichkeiten zwischen den Mietern einer seiner Wohnungen kam und diese sowie das Treppenhaus jetzt verdreckt und mit Blut kontaminiert seien", erzählt Engel und führt weiter aus: "Gemeinsam mit einem Mitarbeiter machte ich mich auf den Weg. Bereits am Parkplatz empfing uns eine ältere Mieterin und begann sogleich aufgebracht über die Personen der Tatortwohnung zu berichten. Diese würden immer wieder durch exzessive Partys, Lärm und vermeintlichen Drogenkonsum negativ in der Nachbarschaft auffallen."
Bereits im Eingangsbereich des Mehrfamilienhauses bemerkten Marcell Engel und sein Kollege erste Blutspuren. Die Wohnung, die sie anschließend zur Reinigung betraten, war ein Bild des Chaos - umgeworfene Möbel, Dreck, Blut. "Die ganze Wohnung befand sich in einem verwahrlosten und ungepflegten Zustand. Doch für mich war es bis dato nichts weiter als ein gewöhnlicher Tatort, den es zu reinigen galt", berichtet Marcell Engel.
Er nahm sich das Badezimmer vor und stieß dort auf eine große Blutlache vor dem Waschbecken. "Damals bestand der übliche Reinigungsprozess noch nicht darin, Blut zunächst mit einem Nasssauger aufzunehmen, weshalb ich den Putzvorgang startete, indem ich kniend mit mehreren Lappen das Blut vom Boden wischte. Als ich gerade beherzt über die Blutlache wischte, spürte ich plötzlich einen stechenden Schmerz in meiner Hand, der meinen ganzen Körper wie ein Blitz durchfuhr", erzählt der Tatortreiniger.
Er hatte sich beim Aufwischen des Blutes an einer Glasscherbe geschnitten und machte sich daraufhin große Sorgen, ob etwas von dem fremden Blut in seinen Körper eingedrungen war: "Ich habe mich sofort gefragt, ob die Menschen, die ihr Blut hier verloren haben, ansteckende Krankheiten haben. Mechanisch erledigte ich noch die Reinigung vor Ort und fuhr direkt im Anschluss ins nächstgelegene Krankenhaus."
Man teilte ihm mit, dass die Mieter der zu reinigenden Wohnung beide an Hepatitis C litten und HIV-positiv waren. "Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde brach meine Welt zusammen - mein Kopf war vollkommen leer. Ohne mich weiter verarzten zu lassen, verließ ich das Krankenhaus und dachte: "Jetzt ist dein Leben zu Ende..."", erinnert sich Marcell Engel. Alles, was ihm bis dato wichtig war, verlor an Bedeutung und die Angst, sich mit einer mitunter tödlich verlaufenden Krankheit infiziert zu haben, lähmte ihn regelrecht. Nach 12 Wochen erhielt er das Ergebnis der Tests. "Die Worte des Arztes, dass beide Tests sowohl auf HIV als auch Hepatitis C negativ waren, waren Balsam für meine geschundene Seele. Ich war gesund! Dieser Moment veränderte meine Sicht auf mein Leben komplett, er begleitet mich täglich und führt mir immer wieder vor Augen, dass jeder Moment, den wir haben, ein Geschenk ist und wir ihn genießen sollten", erzählt Marcell Engel.
Durch diesen Arbeitsunfall an einem vermeintlich gewöhnlichen Tatort und den damit einhergehenden Wochen der inneren Verzweiflung erkannte Marcell Engel, dass tief empfundenes Glück durch ganz kleine Dinge im Leben herbeigeführt werden kann. "Zuvor war meine Definition von Glück immer mit Materiellem gekoppelt. Heute denke ich ganz anders darüber, denn diese Dinge sind mit einem Schlag nichtig. Die Zeit, die wir mit Leben verbringen dürfen, ist uns geschenkt und wir dürfen damit nicht verschwenderisch umgehen. Wir sollten zulassen, jeden Tag Glück zu empfinden, uns darauf einlassen die kleinen Glucksmomente - ein warmer Sonnenstrahl am Morgen, ein gutes Essen, ein Gespräch mit einem wertvollen Menschen - wieder bewusst zu genießen, zu fühlen, zu erleben", so das Fazit von Marcell Engel.
Weitere Informationen zu Marcell Engel finden Sie unter: http://www.marcellengel.com
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