"Essen ist immer auch ein politischer Akt"
09.07.2014
Essen & Trinken
Es ist der Trend der letzten Jahre, Veganismus. Es eröffnen immer mehr vegetarische oder vegane Restaurants. Waren Anfang der achtziger Jahre Vegetarier noch eine kleine belächelte Minderheit, so sind sie heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Dabei geht es im Veganismus um mehr als nur auf den Verzicht von tierischen Produkten. Es geht um eine bewusste Haltung der Umwelt gegenüber. Wir sprachen darüber mit dem Freiburger Soziologen Sacha Szabo (http://www.sacha-szabo.de/) , der für das Institut für Theoriekultur (http://institut-theoriekultur.de/) Alltagsphänomene untersucht.
Warum ist Veganismus In?
Sacha Szabo: Der Veganismus ist seit den achtziger Jahren, teilweise über die Straight Edge Bewegung die sich aus dem Punkt emanzipierte, in die Jugendkultur eingesickert. Aktuell ist er Ausdruck einer bewussten Auseinandersetzung des Einzelnen mit sich und seiner Umwelt. Dazu gehört der Umgang mit der Natur. Dazu gehört aber auch der Umgang der Gesellschaft mit der Natur, mit den natürlichen Ressourcen. Und es steckt auch eine Ethik in dieser Bewegung, die einfordert sich Gedanken zu machen. Dies zeigt auch die politische Dimension dieses Trends.
Wie meinen Sie das?
Sacha Szabo: Nahrung ist immer auch politisch. Hunger wird als Waffe eingesetzt. Und Nahrungsbeschaffung hat auch immer etwas mit Macht zu tun. Von "wessen Brot ich ess´" bis "Erst das Fressen, dann die Moral" gibt es auch einen Berg entsprechender Aphorismen. Mit der Nahrung wird auch immer Gesundheit kommuniziert. Gesundheit ist gleichfalls eine politische Größe. So werden Kreislauferkrankungen daraufhin kommuniziert, wie viel des Bruttosozialproduktes auf sie verwendet werden müssen und wie diese Kosten durch eine bewusste Ernährung vermieden werden können. Betrachtet man die Bevölkerung unter diesem Blickpunkt, erscheint sie wie eine Herde Kühe in einem Stall, über deren Nahrungszusammensetzung unter dem Gesichtspunkt der Effizienz beratschlagt wird.
Das hat mit Veganismus nichts zu tun oder?
Sacha Szabo: Der Veganismus ist ja nicht nur Hardcore Vegetarismus, sondern hat auch eine politische Dimension. Dies fängt bei Überlegungen an, dass durch eine rein pflanzliche Ernährung der Welthunger bekämpft werden könnte. Umgreift aber auch politische Fragen wie die der Macht, wie diese ausgeübt wird und ob diese ausgeübt werden muss und wenn, warum.
Machtanspruch und Nahrungsmittel?
Sacha Szabo: Der Veganismus kann neben antiken Verweisen auch auf Rousseau zurückgeführt werden. Der Naturzustand des Menschen ist Fleischloser. Fleischlose Menschen, so Rousseau, sind friedlicher zu einem, weil das Fleisch aggressiv macht und zum andern macht auch die Herstellung aggressiv. Das Bestimmen über Leben und Tod, das ist die grundlegende Machtkonstellation. Wer darüber bestimmt hat das sagen. Jetzt wird in Frage gestellt, ob es dem Menschen zusteht über andere Wesen zu verfügen. Wenn er dazu ja sagt, dann akzeptiert er auch, sofern er nicht der Nietzsche´sche Übermensch ist, dass auch über ihn verfügt wird. Insofern ist Veganismus auch eine Autonomiebestrebung. Essen ist unter diesem Gesichtspunkt ein politischer Akt.
Es geht doch aber auch um die Tiere.
Sacha Szabo: Ja, natürlich geht es auch darum dem Tier kein Leid zuzufügen. Ursprung ist, dass nur der Mensch als Subjekt angesehen wird. Alle anderen Dinge sind reine Objekte. Diese Haltung, die in der Aufklärung entstand, wird als willkürlich und konstruiert verstanden. Es ist eine Konstruktion, die aufgrund bestimmter Interessen gebildet und seither tradiert wird. Es spielt dabei auch eine Rolle, ob man dem Tier die Fähigkeit zu leiden zuschreibt. Eine merkwürdige Frage, wo doch klar beobachtbar ist, dass ein Tier schmerzen empfinden kann und dies ist auch messbar. Im Kern geht es aber um eine philosophische Frage. Descartes, den man als Urheber dieses Gedankens gelegentlich ausmacht, hatte dabei allerdings nicht im Sinn ob das Tier Schmerzen empfindet, sondern ob es sich eine Vorstellung von den Schmerzen machen kann. Hat also ein Tier, ähnlich dem Menschen, die Fähigkeit zur Projektion und kann es seine Endlichkeit und seine Verletzlichkeit antizipieren, also vorwegnehmen.
Und kann dies das Tier?
Sacha Szabo: Man weiß es schlichtweg nicht, da man nicht weiß ob ein Tier denkt und was vor allem ein Tier denkt. Es gibt immer wieder romantisch vermenschlichende Überlegungen, die uns eben aufgrund ihrer Vermenschlichung so berühren. Was aber sicher hinfällig ist, ist die klare Trennung hier Mensch dort Tier. Die Übergänge sind fließend und viele verhaltenspsychologischen Experimente zeigen auch, dass bestimmte Eigenschaften auch bei Tieren anzutreffen sind. Sicherlich ist der Mensch ein besonderer Spezialist, da er im Unterschied zu vielen Tieren aufgrund seiner Ungerichtetheit ein Universalist ist. Diese Ungerichtetheit impliziert eine Weltoffenheit, die überhaupt erst eine komplexe Sprache und damit eine Kultur notwendig macht. Sollte ein Tier innerhalb seines Lebensraums sein Auskommen finden, so gibt es einfach keine Notwendigkeit für Kultur. Kultur ist ja nicht a priori etwas Gutes, sondern unter bestimmten Bedingungen etwas notwendiges.
Wir sind jetzt ganz weggekommen von Veganismus.
Sacha Szabo: Eigentlich nicht, denn es geht eben nicht nur um das Essen, sondern um unser Verhältnis zu unserer Umwelt.
Eine letzte Frage. Essen Sie Fleisch oder sind sie Veganer?
Sacha Szabo: Ich ernähre mich am liebsten von Schokolade. Ich habe allerdings große Sympathien für den Veganismus, ohne aber dass ich jetzt vegan lebe.
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