Omni-Channel-Shopping ist längst Standard - Aber Handel und Logistik verschlafen die Entwicklung
12.10.2020
Handel & Dienstleistungen
Bamberg, 12. Oktober 2020. Die Verbraucher haben sich längst entschieden: sie kaufen sowohl on- als auch offline. Doch die meisten klassischen Einzelhändler - und mit ihnen ihre Logistik-Partner - betrachten stationäre und digitale Kanäle nach wie vor getrennt. "Der Mangel an überzeugenden Konzepten, die das veränderte Kaufverhalten spiegeln, ist erschreckend", meint der E-Commerce- und Logistik-Kenner Claus Huttner.
Die Botschaft ist eindeutig: 56 Prozent der Verbraucher in Deutschland kaufen je nach Situation entweder online oder offline. Mehr noch: Diese Käufergruppe steht für rund drei Viertel der Ausgaben im Nonfood-Handel, so das GfK Consumer Panel Nonfood 2019.
Zugleich wächst der Nonfood-Handel seit Jahren nur noch im Internet, während seine Gesamtumsätze stabil bleiben. Das heißt im Umkehrschluss, der stationäre Handel fällt zurück. Eine Entwicklung, die sich in den kommenden Jahren eher noch verstärken als abschwächen wird.
Online wächst weiter kräftig
Denn, und das ist alarmierend: Aktuell liegt der Anteil des E-Commerce am gesamten Einzelhandel in Deutschland gerade mal knapp über zehn Prozent, so die Handelsforscher von ibi Research an der Universität Regensburg. Bis 2025 erwarten die Wissenschaftler in ihrem Basisszenario einen Anstieg bis auf 15,5 Prozent oder, im progressiven Szenario, sogar bis auf 18 Prozent. Das entspricht einem Wachstum des E-Commerce zwischen zehn und 16 Prozent. Pro Jahr.
"Aber auch das wird mit Sicherheit längst noch nicht das Ende der Fahnenstange sein", ist Claus Huttner überzeugt. Der Geschäftsführer des Logistikunternehmens BI-LOG Warenhotel arbeitet seit Jahren mit Anbietern im stationären Handel und im E-Commerce zusammen. Er kennt die Anforderungen und Gegebenheiten für beide Kanäle sehr genau.
Radikal neue Konzepte gefragt
"Das Dilemma wächst weiter, und es ist überhaupt nicht absehbar, wie weit die Entwicklung noch geht. Angesichts des Verbraucherverhaltens kann die Lösung deshalb nur heißen: Der Handel braucht radikal neue Konzepte. Innovative Unternehmen wie Ikea zeigen, wie das gehen könnte." Der Möbelriese hat unlängst in der Innenstadt von Hamburg ein Mini-Ikea und in Pankow und Potsdam sogenannte Planungsstudios eröffnet - ohne die sonst üblichen Mega-Verkaufsflächen und Lagerhallen.
In Hamburg, so Deutschland-Chef Dennis Balslev, habe man schon sehr positive Erfahrungen abseits der grünen Wiese gesammelt. Den Kunden sei es trotz der wachsenden Internet-Bestellungen wichtig, das Möbelstück vor dem Kauf angefasst oder zumindest im Raum gesehen zu haben. Mit den Planungsstudios schaffe man dafür die ideale Anlaufstelle.
Claus Huttner: "Ich bin überzeugt, wir werden in den kommenden Jahren viele Konzepte sehen, mit denen Anbieter ausloten, wie sie die Verschmelzung von On- und Offline-Handel für sich nutzen können. Schade nur, dass der klassische Einzelhandel das Terrain einmal mehr den Großen der Branche überlässt, anstatt selbst kreativ zu werden."
Handel und Logistik sitzen in einem Boot
Klar sei, dass jedes moderne Handelskonzept, gleichgültig welcher Art, mit der Flexibilität und Leistungsfähigkeit der dahinter stehenden Logistik steht und fällt. "Die Uhr des hochgradig IT-lastigen Handels lässt sich nicht zurückdrehen." Und nicht erst mit Amazon habe sich gezeigt, dass der Logistik dabei eine zentrale Rolle zufällt. Kurz: Handel und Logistik sitzen in einem Boot.
Allerdings hätten viele Logistiker offenbar noch immer nicht verstanden, dass auch sie an einem Scheideweg stehen, so Huttner: "Entweder sie entwerten ihre Dienstleistung langsam aber sicher, indem sie sich mangels innovativer Lösungen austauschbar machen. Oder sie verstehen sich als kreative Partner des Handels und gestalten gemeinsam mit ihm ihre Zukunftsfähigkeit."
Wer sich um die Struktur und die Lebensfähigkeit unserer Innenstädte und des Einzelhandels sorge, sollte sich Gedanken machen, wie sich die bestehenden Kanäle gegenseitig befruchten und ergänzen können. "Denn genau das ist, was die Verbraucher wollen."
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