04.07.2013
Kunst & Kultur
(NL/9761373037) Facebook - Die Ilusion nicht mehr alleine zu sein
Von Rüdiger Heins
Facebookneuigkeiten vom 03. Juni
9:23 Uhr: Guten Morgen, ich koche mir jetzt einen Kaffee.
9:25 Uhr: Dir auch einen guten Morgen, komme gerade aus der Dusche!
9:29 Uhr: Wie wars denn in der Dusche?
9:31 Uhr: Soll ich dich abtrocknen?
Dieser Dialog ist noch lange nicht zu Ende. Dennoch erspare ich mir weitere Kommentare im Original zu zitieren, weil die Belanglosigkeit dieser nennen wir es Unterhaltung nimmt kein Ende; nicht an diesem, und auch nicht an den anderen Morgen davor und danach. Zumindest nicht auf Facebook, einem sozialen Netzwerk, das für viele Menschen zum virtuellen Lebensmittelpunkt geworden ist. Sie nehmen ernst, was da verkündet wird und wollen ernst genommen werden, mit dem was sie verkünden. Täglich und in jedem Augenblick, rund um den Planeten.
Gut, denke ich, dass es Facebook gibt, einsame Menschen können, zumindest digital ein Guten Morgen in die Runde geben und sie bekommen prompt eine Antwort oder ein Like. Der Einsamkeitspegel sinkt und der Aufmerksamkeitspegel steigt deutlich an.
Facebook ist eine imaginäre Familie, in der man und frau sich emotional austoben können. Facebook ist eine imaginäre Reibungsfläche, bei der die User nach Belieben, per Mausklick ein- und aussteigen können.
Eigentlich eine gute Sache, dachte ich 2011, als ich meinen Facebook Account angemeldet habe. Das ist doch ein soziales Netzwerk, bei der ich viele Menschen erreichen kann. Immerhin fast 800 Millionen User weltweit.
Auf Facebook wollte ich meine schriftstel-lerische Arbeit, die eXperimenta und das INKAS Institut kontinuierlich präsentieren, um eine Plattform zu haben, mich mit anderen zu vernetzen. Das war schon mein erster Irrtum: denn in der Regel wollen sich dort die meisten als etwas Besonderes darstellen, die sich da im Netz bewegen. Nichts gegen das Darstellen, aber da gibt es sehr viele Darsteller(innen), die nichts darzustellen haben. Kaiser und Kaiserinnen ohne Kleider. Das erinnert mich an den Satz von Andy Warhol:
Jeder Mensch braucht einmal in seinem Leben einen Auftritt von zehn Minuten in den Medien!
Was genau Warhol mit diesem Zitat meinte, möchte ich an dieser Stelle gar nicht detailliert untersuchen. Ich kann nur für mich herausarbeiten, was dieser Satz in meiner Wahrnehmung zu bedeuten hat, und interpretiere ihn deshalb so: Da gibt es Menschen, die eine derart narzisstische Störung in ihrer Kindheit erlebt haben, dass sie selbst noch als Erwachsene den Drang haben, von allen wahrgenommen zu werden!
Um es gleich vorweg zu nehmen: auch ich arbeite daran, meinem Narzissmus nicht zu viel Spielraum zu geben. Auf der Folie des Narzissmus ergibt sich meiner Ansicht nach ein schlüssiges Erklärungsmodell, das Facebook, sozusagen als Geschäftsidee übernommen hat. In diesem digitalen Irrenhaus können sich alle gekränkten Narzisst(inn)en darstellen, wie sie wollen. Es stört nur die wenigsten, weil alle anderen User ähnlich agieren und gar nicht bemerken, wie gestört sich andere in diesem Netzwerk verhalten.
Immer noch der 03. Juni: Am Nachmittag geht es dann so weiter:
14:12 Uhr: Ich bin so müde, kann mir mal jemand einen Kaffee kochen?
14:15 Uhr: Leider nein, mein Kaffee ist ausgegangen. Muss gleich einkaufen gehen!
14:16 Uhr: Bei mir gibts noch Kaffee!
Das ist eines der Hauptprobleme bei Facebook: die (Selbst)Darstellung der einzelnen User, weil die dort gepflegte Darstellung, die keinerlei Informations- und Interaktionswert hat, sondern das Gegenteil. Das wirkt abschreckend auf Facebookmitglieder, die seriös mit diesem Netzwerk umgehen möchten. Da gibt es Autorinnen und Autoren, deren literarisches Dasein darin besteht, dass sie sich Autorin oder Autor nennen. Ab und zu (zu oft) verbreitet diese Klientel ihre selbst-gebastelten Gedichte. Die Gebrauchsanweisung und das Bastelmaterial kann man sich heute im Internet auf entsprechenden Seiten herunterladen.
Schrecklich. Einfach nur schreckliches Zeug wird da unter die Leute gebracht. Manche Texte brauchen meiner Meinung nach einen Waffenschein, damit sie überhaupt unter die Leute dürfen. Geistige Umweltverschmutzung nenne ich das. Das ist einfach peinlich und grottenschlecht.
So viele Dichter(innen) und Künstler(innen) wie es auf Facebook gibt, kann es in Wirklichkeit gar nicht geben. Ein Phänomen, einfach ein Phänomen. Die meisten von diesen Facebook Dichter(inne)n können überhaupt nicht dichten, sie haben weder ein Gespür für Sprache, noch eine Ahnung von Textgestaltung. Dennoch dichten diese User und kleistern die virtuelle Welt mit ihren wie soll ich das eigentlich nennen? psychopatischen Ergüssen voll. So gesehen ist das Netzwerk auch eine Plattform für Menschen, die sich öffentlich therapieren wollen. Facebook eine offene Psychiatrie?
Millionen von Menschen verbringen tagtäglich wertvolle Stunden im Netz der Illusionen.
Heute bereitet mir schon der Gedanke an Facebook Kopfschmerzen. Heute deswegen, weil ich ein bekennender Facebook Aussteiger bin. Ja, es gibt auch ein Leben außerhalb von Facebook.
Heinrich Heine hat in seinem Gedichtezyklus Deutschland ein Wintermärchen den Vers gedichtet:
Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht, ()
So denke, so fühle ich, wenn ich mich mit Facebook beschäftige.
Ich bin ausgestiegen, als ich 4431 Freunde (?) hatte. Die fünftausender Marke (mehr geht nicht bei FB) wollte ich aus psychohygienischen Gründen nicht mehr erreichen. Im November 2012 bin ich aus diesem globalen Irrenhaus ausgestiegen.
Eine von mir gegründete Gruppe (Culture Creative People) hatte annähernd 2000 Gruppen-mitglieder(innen). Die Gruppe lief sehr gut. Wir hatten viele Gespräche zu gesellschaftlich aktuellen Themen. Das war eine positive Erfahrung, dennoch reichte sie nicht aus für mich, um bei Facebook zu bleiben.
Andere positive Erfahrungen mit realen Schriftsteller(inne)n) und Künstler(inne)n, die durch Facebook zustande gekommen sind, möchte ich nicht unerwähnt lassen. Dafür danke ich diesem Netzwerk, für diese positiven virtuellen Begegnungen, die dann auch in der realen Welt bestand hatten und haben.
Facebook ist ein Sammelbecken unterschiedlicher Menschen mit unterschiedlichen Interessen.
Im Grunde genommen haben wir es hier mit einem basisdemokratischen Vernetzungssystem
zu tun. Schade nur, dass die meisten User nicht das Potential haben, sich adäquat in diesem
System zu bewegen. Da mangelt es häufig an gutem Benehmen und ja einer gewissen (Herzens)
Bildung.
Das Spiel vom Vormittag kann am späten Abend mit beliebigen FB Freund(inn)en fortgesetzt
werden:
23.10 Uhr: Gute Nacht Leute, ich bin müde und lege mich in mein Bettchen.
23:14 Uhr: Gehst du alleine ins Bett?
23:16 Uhr: Gute Nach, schlaf gut!
Irgendwie hat Heine recht:
Denk ich an Facebook in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht, ()ISBN: ISSN 1865-5661, URN:Verlag: INKAS INstitut für KreAtives SchreibenGratis eBook
Facebook Twitter SozialeNetzwerke Experimenta BildendeKunst Fotografie KreativesSchreiben Literatur ModerneLyrik
INKAS INstitut für KreAtives Schreiben
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