Pressemitteilung von Christian Bauer

Internationales Theaterfestival Tiflis 2013


21.10.2013 / ID: 141826
Kunst & Kultur

Von Mitte September bis Anfang Oktober fand zum fünften Mal das Internationale Theaterfestival in der georgischen Hauptstadt Tiflis statt. Wer das ehemalige UdSSR-Land, seine Menschen, seine Historie und vor allem sein künstlerisches Niveau kennen und in europäischen oder internationalen Raum einordnen möchte, dem sei dieses Ereignis Grund und Anlass, in das Land zwischen Kaukasus und Schwarzes Meer zu reisen.

Es lohnt sich in vielfacher Hinsicht. Einmal macht die Reise unter touristischen Aspekten Freude und es gibt Zahlreiches zu entdecken, das die Zeiten überdauert hat. Geografisch gehört das kleine Land eigentlich schon zu Asien, Vorderasien, wird aber wegen seiner Geschichte und Politik auch als Teil Europas angesehen. Seine Nachbarn sind die Russische Föderation im Norden sowie die Türkei, Armenien und Aserbaidschan im Süden. Georgien stand früher unter Herrschaft der Römer, Perser, Byzantiner und Araber. Seit dem 10. Jahrhundert entwickelte es zunehmende Selbstständigkeit und war bis zum 13. Jahrhundert die stärkste Macht im Süden des Kaukasus. Ab 1783 kam Georgien nach und nach unter die Herrschaft Russlands; seit 1864 gehörte es vollständig zum Russischen Reich. In Folge dieser Zugehörigkeit war Georgien seit 1922 bis zu deren Zerfall 1991 Teil der Sowjetunion. Seitdem ist es unabhängig und in Aufbruchstimmung. Mit großem Einsatz stürzt man sich auf die Realisierung neuer touristischer Attraktionen.

Im Zuge der Europäischen Nachbarschaftspolitik steht Georgien vor weiteren Aufgaben. Einerseits strebt das Land die Annäherung an die europäischen Strukturen an, durch Stärkung der Menschenrechte, demokratische Institutionen und Anpassung an EU-Normen und Standards. Andererseits muss die lokale und regionale Verwaltung modernisiert werden. Der Zugang für die überwiegend arme georgische Bevölkerung muss erleichtert werden, um die Lebensbedingungen zu verbessern, vor allem in ländlichen Regionen.
Mit allen Mitteln versucht das Land heute sein tristes, postsowjetisches Image abzustreifen. Anstelle der Plattenbauten hält Futurismus Einzug mit Glas und Schwung und Raffinesse. Die Bevölkerung reagiert zurückhaltend auf die Millionenprojekte. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage Georgiens wirken die Prunkbauten oft noch sehr voreilig. Originell sind die sogenannten Saakaschwili-Bauten auf jeden Fall und der Tourist kann sich nicht nur auf eine spannende Architektur namhafter nationaler und internationaler Künstler freuen.

Da spielt außerdem das Internationale Tiflis Theaterfestival seine kulturellen und kulturtouristischen Joker seit einigen Jahren immer stärker aus. Ausländische Beiträge aus Armenien, Dänemark, England, Finnland, Italien, Israel, Kanada, Polen, Rumänien und Russland brachten auch 2013 der Hauptstadt einen gelungenen Einblick international geprägten Theaterschaffens, auf einer Bandbreite von westlich italienischer bis tief russisch östlicher Emotion. Dabei lag Rumänien nicht nur in der geografischen Mitte. Gleich drei Stücke vertraten das EU-Land in Georgien: Einmal fiel das Deutsche Staatstheater Temeswar/Timisoara mit Florin Fieroi"s nonverbalem "DerDieDans" mit der Musik des begabten Komponisten Vlaicu Golcea auf. Zweimal war das Radu Stanca Theater aus Hermannstadt/Sibiu mit "Warten auf Godot" und "Gulliver"s Reisen" seines international bekannten Regisseurs Silviu Purcarete hochkarätig vertreten. Theaterdirektor Constantin Chiriac agierte als Schauspieler in einer bravourösen Mannschaft. Er unterhält seit Jahren eine gute Verbindung nach Tiflis, was auch Theatern in Georgien zu Gute kommt, wenn es um Gastspiele und Austausch geht.

In kulturpolitischem Kontext erwartete man beim nationalen Teil des Theaterfestival Brisantes, zumal die vorgestellten Stücke keiner Jury unterstellt waren, sondern aus jeder georgischen Region eine oder mehrere Bühnen ins Rennen um die Publikumsgunst und das Interesse der ausländischen Medienvertreter, Festivalscouts und Veranstalter rangen. Da war jedoch noch nicht so sehr viel spürbar, zumal die meisten Vorstellungen aus der Riege der Staatstheater kamen. Die Freien tun sich in Georgien schwer und müssen daher noch eine längere Durststrecke überwinden, um auf internationalen Level zu kommen. Das liegt nicht alleine an ausbleibender staatlicher Förderung, auch der georgische Publikumsgeschmack - besonders bei der jungen Generation - ist in dieser Richtung noch updatebar.

Aber ein Festival ist immer für Überraschungen gut. Acht bis neun Vorstellungen pro Tag galt es im Galopp zu absolvieren. Darin waren von Ballett, Kindertheater, One Man Shows bis hin zu großen Produktionen nahezu alles vertreten und darunter einiges recht Bemerkenswertes. Die georgische Kritikervereinigung hatte die eine oder andere Empfehlung ausgesprochen. Dazu gehörten mit Recht das Royal District Theatre mit Rainer Werner Fassbinders "Katzelmacher", das Kote Marjanishvili Staatstheater mit der "Grönholm Methode" von Jordi Galceran und einer modernen Inszenierung von Molières "Tartuffe". Die Inszenierung des Geogi Eristavi Theaters aus Gori "Saxophone" kam sehr gut an. Hier beschreibt Autor Soso Nemsadze um die Figur eines Straßenmusikers Teile des sozialen Alltags in Tiflis und Georgien, wobei Vereinsamung und Gewalt eine tragende Rolle spielen (willkommen in Europa).

Das starke Staatstheater aus Batumi fehlte in der 2013 Ausgabe gänzlich. Dennoch wartete Festivalchefin Ekaterine Mazmishvili mit einer recht beachtlichen Anzahl gewichtiger Produktionen auf. Aus der Anzahl von mehr als 40 Produktionen seien hier einige unter subjektivem Gusto des Schreibers vorgestellt:

Das Ballet der Staatsoper eröffnete seine Saison mit drei Einaktern, "The Secret Garden", "Sagalobeli" und "1st Flash", um die gesamte Bandbreite von tänzerischem Solisten- und Company-Können unter Beweis zu stellen. Ein gelungenes Unterfangen der künstlerischen Chefin Nina Ananiashvili, die ihr Talent als ausgezeichnete Solotänzerin auf die neue Generation - besonders der Tänzerinnen - übertragen hatte. Sie bestachen ausnahmslos durch Technik und Grazie. Der Ausdruckskraft der Tänzer würde die führende Hand eines Mannes sicher noch mehr Ausdruckskraft verleihen, ein generell evidentes Problem.

Wer Sarah Kane als Regie-Debut auswählt, stellt äußerste Ansprüche an sich und die Akteure. Die Besucher dieses Unterfangens auf der Bühne des altehrwürdigen Shota Rustaveli State Drama Theatre fieberten zu Recht "Psychosis 4:48" entgegen, dem letzten Stück der jungen englischem Autorin, 1999 kurz vor ihrer Selbsttötung fertig gestellt, zugleich Höhepunkt in Kanes Schreiben, was Fragmentierung, Aufbrechen klarer Perspektiven und Rollen und Poesie betrifft. "The one thing I don't think is the responsibility of playwrights is telling people what to think about the play afterwards." Ihre Stücke lösten heftige Kontroversen aus und wurden gleichzeitig mit Preisen bedacht. Genauso müssen Jungregisseur Kita Rokva und sein Protagonist Beso Zanguri an das Werk heran gegangen sein. "Erinnere das Licht und glaube an das Licht. Ein Augenblick bevor ewiger Nacht". Ich habe miterlebt, war als Zuschauer Teil von Shota Bagalishvilis subtil gestalteter Bühne, um die wir gelegentlich kreisten. Sowohl Regisseur wie Hauptdarsteller haben verstanden zu transportieren wie es sein kann, wenn ein kräftiger, gestandener Mensch durch seinen Geist überwältigt in den Suizid getrieben wird. Dieser Produktion gebührt mein persönlicher Respekt.

Dem in London lebenden und arbeitenden georgischen Regisseur David Papava-Gurji ist mit Marius von Mayenburgs "Fireface" ein ordentlicher Wurf gelungen. Noch vor der Premiere konnten die Besucher das bereits im Vorfeld vehement diskutierte Stück anschauen. Fünf gute besetzte Schauspieler verhalfen unter der ausnehmend spannenden und präzise gelenkten Regie dem Stück über klaustrophobische Ängste unserer Generation zu erschreckend realistischem Leben: Kurt liebt das Feuer und er beginnt wirklich damit zu spielen. Eine inzestuöse Beziehung mit seiner provokativen Schwester Olga in einem Theaterstück über Bruder und Schwester, deren Wut und Abscheu sich gegen die Eltern wendet und in Mord endet. Ein intensiver Mayenburg, den man so eher in Deutschland erwartet hätte, ohne Kopie zu sein. Diese kurzfristig eingeschobene Festival-Vorstellung des Tbilisi Vaso Abashidze State Theatre mit einer genialen Ana Tsereteli als Helga ist sicher auch eine Inszenierung, die man in Deutschland sehen möchte.

Bleiben wir zum Abschluss noch eine Weile in diesem Theater, genießen die Nacht und Shakespeares Mittsommernachtstraum in der Regie von David Doiashivili. Letzterer begeistert schon seit vielen Jahren nicht nur georgisches Publikum. Seine Inszenierungen reisen durch Europa, werden euphorisch von Publikum, Kritik und Fachpresse gleichermaßen gefeiert. "Kulturbotschafter" Doiashivili und seine Inszenierungen, darunter auch ein Shakespeare "Macbeth", zeugen vom Können im fernen Tiflis, beweisen, wie nahe die guten Theatermacher vernetzt sind, um ihre Sichtweisen zu schärfen und ihre Techniken zu erweitern. Mit Standing Ovation für eine rasante Inszenierung in einem ausgeklügelten minimalistischen Bühnenbild von Anano Mosidze und beinahe akrobatischer Choreographie von Konstantine Purtseladze. Ein krönender Abschluss eines recht aufregendes Festivals, der uns auf ein spannendes 2014 hoffen lässt. In dem Jahr soll auch die alte Oper nach Jahre langer Renovierung in neuem Glanz erstrahlen. Tiflis wird uns in Zukunft noch Einiges zu bieten haben. (Dieter Topp)

Tags: Tiflis, Tbilisi, Georgien, Sarah Kane, Psychosis 4:48,Marius von Mayenburg, Shakespeare,

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