Die große Macht der Asyl-Dolmetscher
22.02.2017
Politik, Recht & Gesellschaft
Was der Dolmetscher in der Asylanhörung übersetzt, entscheidet über die Zukunft der Asylsuchenden. Obwohl Fälle von Machtmissbrauch seit Jahren bekannt sind, sieht der Bund keinen Handlungsbedarf.
Iti tirigumi ayiteredi'anini ist Tigrinisch, die meistgesprochene Sprache Eritreas, und bedeutet so viel wie Ich verstehe nicht. Das sagt zumindest ein Übersetzungsprogramm aus dem Internet, dessen Qualität hier nicht beurteilt werden kann, denn wie gesagt: Ich verstehe nicht. Den Migrationsbehörden, die über Annahme oder Ablehnung von Asylgesuchen bestimmen, geht es gleich. Sie hören sich für ihren Entscheid weniger an, was die Flüchtlinge sagen, als was eine andere Person sagt: der Dolmetscher.
Für Sprachen wie Tigrinya besteht ein chronischer Mangel an Dolmetschern. Schon heute muss das Staatssekretariat für Migration (SEM) auf das benachbarte Ausland ausweichen, um genügend Dolmetscher zu rekrutieren. Laut Constantin Hruschka, Asylrechtsexperte der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, dürfte sich der Bedarf an geeigneten Leuten mit der Umsetzung des beschleunigten Asylverfahrens sogar verdoppeln. Dann benötigten nämlich neben dem SEM auch die Rechtsvertreter und Berater der Asylsuchenden Dolmetscher. Die Migrationsbehörde geht hingegen davon aus, dass auch im beschleunigten Verfahren allein die Anzahl Gesuche entscheidend sein wird.
Gefahr von Spitzeln
Der Dolmetscher spielt eine zentrale Rolle in der Asylanhörung. Er ist die einzige Person, die alle Anwesenden versteht. Das ist eine Position, die Macht verleiht - und Leute anzieht, die sie suchen. Vor drei Jahren machte ein Fall aus den Niederlanden Schlagzeilen: Drei eritreische Dolmetscher standen im Verdacht, Spitzel des Regimes von Diktator Afewerki zu sein. Im selben Zeitraum machten Aktivisten in Deutschland Fälle von manipulierten Übersetzungen öffentlich.
Die Berichte ließen auch in der Schweiz aufhorchen, denn die eritreische Diaspora setzt sich hierzulande aus zwei Gruppen mit oft gegenteiligen Interessen zusammen, den regimefreundlichen und den regimekritischen Eritreern. Und sie riefen Nationalrat Balthasar Glättli (gp.) auf den Plan: Wie der Bund überprüfe, dass Dolmetscher nicht als Spitzel agierten und wie viele Dolmetscher schon wegen politischer Befangenheit entlassen worden seien, fragte er den Bundesrat vor zwei Jahren. Dieser antwortete, es sei dem SEM nicht möglich, Spitzel in jedem Fall selbst zu enttarnen. Der bloße Verdacht reiche aber aus, um die Zusammenarbeit zu beenden. Aufgrund von Spionagetätigkeiten seien noch keine Dolmetscher entlassen worden, wegen politischer Befangenheit hingegen schon.
Heute, nach Bearbeitung von 15 000 weiteren Asylgesuchen von Eritreern, klingt es noch immer ähnlich: Es habe Fälle von politischer oder religiöser Befangenheit gegeben, erklärt Mediensprecher Lukas Rieder. Statistisch festgehalten werden die Fälle aber noch immer nicht. Um die Gefahr von manipulierten Übersetzungen einzudämmen, setzt das SEM bei der Rekrutierung der Dolmetscher an. Auch bei Engpässen mache das SEM keinerlei Kompromisse, was die Qualität der Dolmetscher, deren Neutralität und Unabhängigkeit angehe, sagt Rieder. Eine Ausbildung zum Dolmetscher oder Berufserfahrung ist für Bewerber aber nicht zwingend. Wie das SEM verfährt, um exilpolitische Betätigungen zu enttarnen, will es nicht öffentlich machen. Bewerber müssen sich aber bereit erklären, eine Personensicherheitsprüfung durchführen zu lassen.
Hat ein Dolmetscher das Auswahlverfahren durchlaufen, liegt die Beurteilung seiner Leistung bei den SEM-Mitarbeitern, die in der Anhörung die Fragen stellen. Sie sollen eine Übersetzung kontrollieren, die sie selbst nicht verstehen. Wie ohnmächtig die Befrager sind, zeigen Anweisungen im Mitarbeiter-Handbuch: Die befragende Person habe darauf zu achten, dass Namen und häufig wiederkehrende Begriffe richtig wiedergegeben werden, heißt es dort. Auch der Längenvergleich der Antworten von Gesuchsteller und Dolmetscher könne einen Hinweis auf die Präzision der Übersetzung liefern.
Das SEM verweist auch auf Rückübersetzungen, welche die Richtigkeit der Übersetzung garantieren sollen: Alle Protokolle werden am Schluss der Anhörung rückübersetzt vorgelesen, so dass Asylsuchende, Befrager, Protokollführer und Hilfswerksvertreter sich von deren Korrektheit überzeugen können, erklärt Rieder. Doch auch das ist nicht unproblematisch, denn Übersetzung und Rückübersetzung werden von derselben Person vorgenommen. Der Dolmetscher kontrolliert sich selbst. Deshalb zeigen sich auch die Vertreter der Hilfswerke, die den Ablauf der Anhörungen beobachten, hilflos: Die Richtigkeit der Übersetzung kann nicht abschließend beurteilt werden, sagt Michael Flückiger von der Flüchtlingshilfe Schweiz.
Bald bessere Kontrolle?
Vermutet der Hilfswerksvertreter eine Unregelmäßigkeit bei der Übersetzung, kann er diese für eine mögliche Beschwerde im Dossier dokumentieren. Probleme bei der Übersetzung allein seien aber kein hinreichender Grund, um einen abgelehnten Asylantrag wiederaufzunehmen, sagt Asylrechtsexperte Hruschka. Der Flüchtlingshilfe ist zwar kein konkreter Fall bekannt, bei dem ein Dolmetscher die Übersetzung manipulierte.
In absoluten Einzelfällen sei es aber schon vorgekommen, dass sich Dolmetscher gegenüber den Asylsuchenden als Mitglieder der Behörde ausgegeben hätten. Auch meldeten sich immer wieder Leute für die Ausbildung zum Dolmetscher, die Flüchtlingen helfen wollten oder, im Gegenteil, alle Asylsuchenden für Betrüger hielten. Solche Leute auszusortieren, sei eine relativ effiziente Methode, um die Neutralität der Übersetzungen zu gewährleisten.
Für die Flüchtlingshilfe liegt das Problem weniger bei der manipulierten als bei der schlechten Übersetzung. Weil der Mangel an Dolmetschern teilweise sehr groß sei, werde hier auch einmal ein Auge zugedrückt, sagt Hruschka. Er geht davon aus, dass die Kontrolle der Dolmetscher im getakteten Verfahren besser wird: Der Dolmetscher des Rechtsvertreters kann dann seinen Kollegen vom SEM kontrollieren - und umgekehrt.
Nachrichten aus Deutschland und Russland vom Fachdolmetscher für Russisch Igor Plotkin (http://www.fachdolmetscher-russisch.de/de/nachrichten/)
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