Altersdiskriminierung der KFZ-Versicherung unzulässig?
11.10.2019
Politik, Recht & Gesellschaft
Von der Bundesregierung führte das Bundesfinanzministerium (BMF) aus, dass nach § 20 Abs. 2 Satz 2 AGG das Alter ein Kriterium sein kann, um gegenüber anderen gesondert behandelt zu werden. Hier ist die Grundlage gelegt, dass eine unterschiedliche Behandlung der Versicherungsnehmer nach dem Alter möglich ist.
Der Petitionsausschuss hatte eine gesetzliche Regelung angeregt, mit der die KFZ-Versicherer ver-pflichtet werden, Risikobewertungen nicht mehr auf der Grundlage von eigenen Daten zu erstellen. Weiter soll die Prämiengestaltung durch gesetzliche Regelungen für die Verbraucher so dargestellt werden, dass die Versicherungsnehmer klar erkennen können, wie sich ihre Prämie im Einzelnen zusammensetzt.
Die nach dem Pflichtversicherungsgesetz, § 9 Abs. 1 PflVG, zu führende Jahresgemeinschaftsstatistik (JGS) wird von dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) geführt und von der Bundesanstalt für die Finanzaufsicht (BaFin) veröffentlicht.
Bei der Jahresgemeinschaftsstatistik handelt es sich um ein Konvolut von über 1.000 Tabellen (!) mit bis zu sieben einzelnen Spalten je Tabelle und 1188 Seiten. Die einzelnen Tabellen werden fast alle angeführt von dem Nutzerkreis, Alter, Verwendungszweck, Schadenfreiheitsrabatt, Fahrzeugart usw. Es versteht sich von selbst, dass ein Verbraucher dieses Konvolut von über 1000 Tabellen und mehrfach vorkommenden Seitenzahlen (3mal die Seite 29) keine barrierefreien Plausibilitätsprüfungen vornehmen kann.
Mit der Jahresgemeinschaftsstatistik (JGS) 2017 über den Schadenverlauf in der Kraftfahrzeug - Haftpflichtversicherung werden über die Anzahl der versicherten KFZ-Halter keine gesicherten Aussagen getroffen.
Noch diffuser sind die Angaben über die (differenzierten) Nutzer. Allein schon der Ausweis von etwa 10 % unbekannten Nutzern entspricht nicht der Klarheit und Nachvollziehbarkeit. Zu jedem Schadenfall werden immer der KFZ-Halter und der Fahrer mit ihren Datensätzen für die Schadenbearbeitung benötigt und vom KFZ-Versicherer verzeichnet. Unbekannte KFZ-Halter und/oder Fahrer (Nutzer genannt) kann es nicht geben. Die in der Statistik aufgeführten unbekannten Nutzer mit einem Anteil von fast 10 % verfälschen die Gesamtstatistik.
Die BaFin teilt auf ihrer Internetseite mit:
"Die BaFin beaufsichtigt Banken und Finanzdienstleister, private Versicherungsunternehmen sowie den Wertpapierhandel und ist hier auch zuständig für den kollektiven Verbraucherschutz."
Die Tarife einschließlich der Alterszuschläge zur KFZ-Versicherung, wie die gesetzlichen Grundlagen (z. B. statistische Erhebungen) nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, müssen übersichtlich und für einen nicht geschulten Verbraucher ohne Hinzuziehung eines sachverständigen Dritten nachvollziehbar sein. Dieser von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz gilt selbstverständlich auch für die Kraftfahrthaftpflichtversicherung im Sinne von § 20 AGG. Damit Verbraucher nicht übervorteilt werden, erhielt die BaFin unter anderem die Aufgabe des kollektiven Verbraucherschutzes.
Auf ihrer Homepage teilt die BaFin dazu mit: "Die Informationen, die die Anbieter zur Verfügung stellen - ob gesetzlich verpflichtende oder freiwillige - müssen von Inhalt und Form her so ausgestaltet sein, dass sie den Kenntnissen und Bedürfnissen der Verbraucher gerecht werden.
Dieser Verpflichtung ist die BaFin bis heute nicht nachgekommen.
Risikostatistiken stellen ein wichtiges Hilfsmittel dar, um risikogerechte Tarife zu ermitteln. Die Quellen außerhalb der KFZ-Versicherer haben diverse Anhaltspunkte und Zweifel ergeben, dass der anlasslose Zuschlag zur KFZ-Prämie nicht korrekt sein konnte. Eine nachvollziehbare Bewertung, dass die "Älteren" einen Aufschlag zu der Prämie zahlen müssen, ergab sich nicht.
Zu betrachten und zu vergleichen ist hier die homogene Gruppe von etwa 42,35 Millionen PKW-Halter (KBA) - ohne Unbekannte und juristische Personen - im Verhältnis zu der Teilmenge der ca. 9,7 Millionen Senioren ab 65 Jahren als PKW-Halter, welche oft langjährige unfallfreie Versicherungsverläufe von über 30 Jahren mit Zuschlägen bis ca. 100 % zur Vergleichsprämie unter 60 Jahren zur KFZ -Versicherung ohne Grund oder Anlass belegt werden. Hingewiesen werden die Senioren ausdrücklich auf die Zuschläge nicht und nicht auf die Höhe der Zuschläge zu der Prämie.
Zwischen beiden vorgenannten Gruppen gibt es nach den bisherigen Erkenntnissen keine Unter-schiede von solcher Art und Gewicht, die eine ungleiche Behandlung rechtfertigen können.
Die Wagnisse der Versicherer ergeben sich aus über 40 Einzel-Wagnissen, also mit dem Risiko des Betriebes von PKW"s, LKW"s, Kräder, Bussen, E-Bikes usw. im öffentlichen Straßenverkehr. Alle Per-sonenkraftwagen gehören zu der Wagnisart: "112 PKW" mit der die Gefahren und der Betrieb im Straßenverkehr für die KFZ-Halter einheitlich erfasst sind und bilden somit eine gleichartige homogene Risikogruppe.
Innerhalb der KFZ-Versicherung werden alte Autofahrer zu Unrecht als das "Risiko" eingestuft. Das Risiko verteilt sich innerhalb der etwa 47 Millionen KFZ-Halter. Ein Beispiel: Die Hauptbeschuldigten PKW-Fahrer als Hauptverursacher an Unfällen mit Personenschaden über 65 Jahren sind am Risiko der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr lediglich mit ca. 0,08 % vertreten. Alle anderen Altersgruppen liegen höher. Tatsächlich gehört die Gruppe der 65+ bei den durchschnittlichen Schäden in Euro, bei der Anzahl der Schäden sowie im Fahreignungsregister zu den Günstigsten.
Ein Gleichheitsgrundsatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Sache ergebender Grund für die Erhebung des Alterszuschlages für PKW-Halter ab 65 Jahren nicht finden lässt. Einen nachvollziehbaren Grund für die Erhebung der Zusatzprämie haben die Versicherer bis heute den Verbrauchern nicht schlüssig erklären können. Insofern kann der Alterszuschlag für die KFZ-Halter ab 65 Jahren solange als willkürlich zu bezeichnet werden und dient offensichtlich der Gewinnmaximierung der KFZ-Versicherer. Es ist unverkennbar ungerecht, wenn zusätzliche Beiträge bei geringerem, bzw. gleichem, Risikoverlauf bei der Generation 65+ erhoben werden.
Von einer fairen Risikoberechnung durch die KFZ-Versicherer kann trotz gegenteiliger Aussagen des GDV gegenüber den Versicherungsnehmern über 60 Jahren keine Rede sein. Es handelt sich im Ergebnis um Altersdiskriminierung, die auch nicht durch das Allgemeine Gleichstellungsgesetz gestützt wird. Die BaFin hat ihren Auftrag des kollektiven Verbraucherschutzes im Interesse der neun Millionen KFZ-Halter über 65 Jahren offensichtlich nicht gewährleistet.
Zuletzt drangen die KFZ-Versicherer bei den zuständigen Bundesämtern, Bundesministerien und Politikern damit durch, dass sie sich auf die Tariffreiheit (Vertragsfreiheit Art. 2 Abs. 1 GG) beriefen und daher keine Begründung zu Alterszuschlägen in der KFZ-Versicherung erteilten.
Die KFZ-Versicherer müssen sich, wie die Bundesregierung jetzt mitteilte, ihre Tarife so kalkulieren, dass es nicht zu einer Altersdiskriminierung kommt und stimmt dem Petitionsausschuss zu, dass die altersabhängige Tarifierung transparenter werden sollte.
Die BaFin, so dass Bundesfinanzministerium wird ab dazu ab Mitte 2019 (!?!) im Rahmen einer Initiative weiter gehende Analysen und Untersuchungen durchführen, ob die Praxis der KFZ-Versicherer den Anforderungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes entspricht. Eine Un-terrichtung des Petitionsausschusses über die Untersuchung der BaFin erfolgt vom Bundesfinanz-ministerium.
Rainer Schäffer
06.10.2019
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