Einigungsstelle gemäß § 109 BetrVG - Auch ohne Beschluss des Wirtschaftsausschusses
29.05.2020
Politik, Recht & Gesellschaft
1. Die Zuständigkeit einer Einigungsstelle nach § 109 BetrVG setzt nicht voraus, dass der Wirtschaftsausschuss über sein an den Unternehmer gerichtetes Auskunfts- oder Vorlageverlangen zuvor einen (ordnungsgemäßen) Beschluss gefasst hat.
2. § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verpflichtet den Unternehmer, den Wirtschaftsausschuss über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens anhand aussagekräftiger Unterlagen zu unterrichten. Einer zusätzlichen Erforderlichkeitsprüfung bedarf es nicht.
(BAG v. 17.12.2019, 1 ABR 25/18 - Amtliche Leitsätze)
Gerade in Zeiten der Corona-Krise ist es unabdingbar, dass sich Betriebsräte über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens zeitnah unterrichten lassen. In Unternehmen mit regelmäßig mehr als 100 beschäftigten Arbeitnehmern ist gem. § 106 Abs. 1 BetrVG zwingend ein Wirtschaftsausschuss zu bilden, der diese Aufgabe übernimmt. Die obige BAG-Entscheidung hat jetzt noch einmal Klarheit in das Zusammenspiel der Aufgaben von Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss gebracht.
Im vorliegenden Fall hatte eine Einigungsstelle zugunsten des Gesamtbetriebsrats im Wege eines Spruchs entschieden, dass der Arbeitgeber - ein Betreiber von Krankenhäusern - verpflichtet sei, den Wirtschaftsausschuss u.a. anhand der Budgetabschlüsse des Arbeitgebers mit den Krankenkassen zu unterrichten. Hiergegen wandte sich der Arbeitgeber im Verfahren u.a. mit dem Argument, es sei kein ordnungsgemäßer Beschluss des Wirtschaftsausschusses für das Auskunftsverlangen nachgewiesen worden. Dem widersprach das BAG. Für die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs sei die Frage der ordnungsgemäßen Beschlussfassung des Wirtschaftsausschusses ohne Belang. Sowohl der in § 109 BetrVG angelegte Einigungsvorrang zwischen Betriebsrat und Unternehmer als auch die Vorgaben des § 76 Abs. 2 BetrVG ließen erkennen, dass es für die Einleitung des Einigungsstellenverfahrens auf die Willensbildung des (Gesamt-)Betriebsrats, nicht auf die des Wirtschaftsausschusses ankomme. Es obliege insoweit ausschließlich dem (Gesamt-)Betriebsrat, im Falle einer Nichteinigung über ein Auskunftsverlangen des Wirtschaftsausschusses, die Einigungsstelle gem. § 109 Satz 1 BetrVG anzurufen. Hinzukomme die Tatsache, dass der Wirtschaftsausschuss lediglich Hilfsorgan des (Gesamt-)Betriebsrats sei.
Das BAG stellte zudem fest, dass eine mangelnde Schriftform des Einigungsstellenspruchs in diesem Fall nicht zur Unwirksamkeit des Spruchs führen würde. Da die Einigungsstelle im Rahmen des § 109 BetrVG lediglich eine interne Angelegenheit zwischen (Gesamt-)Betriebsrat und Arbeitgeber regele, gleiche ihr Spruch funktional einer Regelungsabrede und nicht einer Betriebsvereinbarung. Für die Wirksamkeit einer Regelungsabrede sei aber keine Schriftform zwingend.
Schließlich erteilte das BAG auch den inhaltlichen Einwendungen des Arbeitgebers eine Absage. Nach Auffassung des BAG sind Budgetvereinbarungen für die wirtschaftliche Entwicklung eines Krankenhausbetreibers bedeutsam. Einer weitergehenden Prüfung des Auskunftsverlangens bedürfe es daher nicht mehr. Insoweit setze der Unterrichtungs- und Vorlageanspruch des Wirtschaftsausschusses weder voraus, dass darlegt werde, wofür er die begehrten Informationen benötige, noch stehe die Vorlage erforderlicher Unterlagen im Auswahlermessen des Arbeitgebers. § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verpflichte den Arbeitgeber vielmehr, eine Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses anhand geeigneter und damit aussagekräftiger Unterlagen vorzunehmen. Dies ergebe die Auslegung der Norm.
Auch auf eine angebliche Gefährdung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen konnte sich der Arbeitgeber im entschiedenen Fall nicht (mehr) berufen. Nach Auffassung des BAG habe die im BetrVG angelegte Primärzuständigkeit der Einigungsstelle zur Folge, dass der Unternehmer seinen Einwand, durch die verlangte Unterrichtung oder Vorlage von Unterlagen seien Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gefährdet, bereits im Rahmen des Einigungsstellenverfahrens vorbringen müsse. Unterlasse er dies, könne er sich in einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren hierauf jedenfalls dann nicht mehr berufen, wenn die Umstände, die eine Gefährdung begründen sollen, nicht erst nach Abschluss des Einigungsstellenverfahrens eingetreten seien.
Fazit:
In der aktuellen Situation müssen (Gesamt-)Betriebsräte und ihre Wirtschaftsausschüsse ihre Rechte in besonderer Weise gemeinsam einsetzen, um die wirtschaftliche Lage des Unternehmens genau im Blick zu behalten. Dies umfasst alle Informationen und Unterlagen von wirtschaftlicher Bedeutung. Der Darlegung einer besonderen Erforderlichkeit bedarf es dabei nicht.
Christopher Koll, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Bell & Windirsch, Britschgi & Koll Anwaltsbüro
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