Betriebsratswahl - Verlangen nach Briefwahlunterlagen bei Betriebsabwesenheit und Bewertung von Stimmzetteln mit sichtbarer Stimmabgabe
25.11.2025 / ID: 435906
Politik, Recht & Gesellschaft
1. Die Pflicht des Wahlvorstands, einem Wahlberechtigten, der im Zeitpunkt der Betriebsratswahl wegen Abwesenheit vom Betrieb an der persönlichen Stimmabgabe verhindert ist, auf sein Verlangen die Unterlagen für eine schriftliche Stimmabgabe auszuhändigen oder zu übersenden, setzt keine Begründung des Verlangens durch den Wahlberechtigten voraus. Der Wahlvorstand hat die Verhinderung wegen Betriebsabwesenheit nur dann zu überprüfen, wenn sich Zweifel daran aufdrängen.2. Die persönliche Stimmabgabe bei der Betriebsratswahl erfolgt ohne Wahlumschläge durch Einwerfen eines Stimmzettels in die Wahlurne. Der Stimmzettel ist in der Weise zu falten, dass die Stimme nicht erkennbar ist. Bei der Briefwahl ist der Stimmzettel bei Einlage in den Wahlumschlag so zu falten, dass die Stimmabgabe erst nach Auseinanderfalten des Stimmzettels erkennbar ist. Das dient der Wahrung der Geheimheit der Wahl.
3. Werden Stimmzettel mit dem Schriftbild nach außen gefaltet, sind sie ungültig.
(Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22. Januar 2025 - 7 ABR 1/24; Leitsätze des Verfassers)
Bei der Arbeitgeberin handelt es sich um ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, bei dem im Jahr 2022 die Wahl eines 11-köpfigen Betriebsrates erfolgte. Im Rahmen dieser Betriebsratswahl beantragten 71 Wahlberechtigte die Übersendung von Wahlunterlagen, wobei von diesen 23 ihr Verlangen ohne Begründung per E-Mail an ein Mitglied des Wahlvorstandes richteten. Ohne eine Beschlussfassung des Wahlvorstandes sandte ihnen dieses Mitglied des Wahlvorstandes Briefwahlunterlagen zu. Die Briefwahlunterlagen enthielten dabei ein Merkblatt u.a. mit dem Hinweis, Stimmzettel vor Einlage in den Wahlumschlag so zu falten, dass die Stimmabgabe erst nach dem Auseinanderfalten erkennbar ist. Alle bei der Wahl verwendeten Stimmzettel enthielten zudem die Aufforderung "Stimmzettel bitte mit dem Schriftbild nach innen falten!". Bei der öffentlichen Stimmauszählung wurde bei 4 der per Briefwahl eingegangenen Stimmzetteln nach Öffnung des jeweiligen Wahlumschlags und Entnahme des Stimmzettels festgestellt, dass dieser nach außen mit sichtbarer Stimmabgabe gefaltet war. Die Stimmen wurden, ohne Beschlussfassung des Wahlvorstandes, als ungültig bewertet und nicht in die Wahlurne eingelegt. Die Betriebsratswahl wurde mit der Begründung angefochten, dass zum einen die Bewertung der nach außen gefalteten Stimmzettel nicht zutreffend und zum anderen die Übersendung der Briefwahlunterlagen fehlerhaft ohne vorherige Beschlussfassung des Wahlvorstandes erfolgte. Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen, das Hess. Landesarbeitsgericht (LAG) ihm stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betriebsrats vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) war erfolgreich.
Das BAG hat dabei - anders als das LAG - zunächst klargestellt, dass ein Verlangen der Übersendung von Briefwahlunterlagen durch zum Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb an der Stimmabgabe verhinderter Wahlberechtigter (§ 24 Abs. 1 S. 1 WO) keine Begründung erfordert. Es handele sich nach dem gesetzlichen Wortlaut um ein schlichtes, an keine Form gebundenes, begründungsloses Verlangen und keinen formgebundenen Antrag. Hieraus folge, dass keine - auch nur kursorische - Plausibilitätsüberprüfung durch den Wahlvorstand vorzunehmen sei. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn sich anhand objektiver Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit der Angaben der Wahlberechtigten zur Betriebsabwesenheit aufdrängen würden. Folgerichtig könne die Übersendung von Briefwahlunterlagen auf ein solches Verlangen regelmäßig auch ohne Beschlussfassung des Wahlvorstandes erfolgen. Die Bewertung der, entgegen der Vorgaben in § 11 Abs. 3 WO (Präsenzwahl) und § 25 Abs. 1 Nr. 1 WO (Briefwahl), fehlerhaft gefalteten Stimmzettel (Schriftbild nach außen) als ungültig, sei zutreffend erfolgt. Das gebiete sowohl der Grundsatz der geheimen Wahl als auch der Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Ersterer sei bei einer fehlerhaften Faltung nicht gewahrt, letzterem werde nur entsprochen, wenn alle Wahlberechtigten ihr passives und aktives Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben können. Auch dies werde bei einer Faltung mit sichtbarer Stimmabgabe vor Einlegung in die Wahlurne nicht gewahrt. Dass die "Aussortierung" ohne formalen Beschluss des Wahlvorstands im laufenden Stimmauszählungsprozess erfolgte, begegne regelmäßig ebenfalls keinen Bedenken. Dies resultiere daraus, dass allein die Berücksichtigung eines fehlerhaft gefalteten Stimmzettels zu einer Beeinflussung des Wahlergebnisses führe, auf eine Zuordnung als fehlerhaft in einem Beschluss des Wahlvorstands komme es nicht an. Fehle ein solcher Beschluss, könne das Wahlergebnis daher prinzipiell auch nicht beeinflusst werden.
Fazit:
Das BAG hat in seiner Entscheidung hoch relevante Fragstellungen für Betriebsratswahlen beantwortet. Denn sowohl im Hinblick auf § 24 Abs. 1 WO als auch auf die Frage der Bewertung, wie mit Stimmzetteln mit sichtbarer Stimmabgabe umzugehen ist, fehlte es bisher an höchstrichterlicher Rechtsprechung. Wichtig ist dabei, dass das BAG Wahlvorständen in den Fällen des § 24 Abs. 1 BetrVG keinen "Freibrief" erteilt hat. Ist bekannt, dass Wahlberechtigte am Tag der Wahl im Betrieb sind, hat der Wahlvorstand aufgrund des Vorrangs der Präsenzwahl eine Begründung des Verlangens anzufordern. Da der Wahlvorstand in den Fällen des § 24 Abs. 2 WO und insbesondere § 24 Abs. 3 WO der "Initiator" der Übersendung von Briefwahlunterlagen ist, sollte hier auf eine Beschlussfassung des Wahlvorstandes vor Übersendung geachtet werden. Hilfreich ist schließlich der Hinweis des BAG, dass die Informationen in übersandten Merkblättern über die Art und Weise der schriftlichen Stimmabgabe an die Briefwähler nicht fehlerhaft und widersprüchlich sein dürfen.
Ungeklärt ist, ob die Grundsätze zum Verlangen von Briefwahlunterlagen auch auf Briewahlunterlagen im einfachen Wahlverfahren zu übertragen sind. Das scheint nicht zwingend, verlangt der Gesetzeswortlaut dort doch eine Beantragung (vgl. § 35 Abs. 1 S. 1 WO).
Fabian Wilden, Rechtsanwalt,
Anwaltsbüro* Windirsch, Britschgi & Wilden
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