Die weibliche Seite des Freeridens - Alpinunfälle bleiben Männerdomäne
01.03.2014
Sport & Events
Der Wintersport im freien Gelände ist keine reine Männerdomäne mehr: Immer mehr Frauen entdecken die Reize des Backcountry für sich, heute sind mehr Freeriderinnen und Skitourengeherinnen in den Bergen unterwegs als jemals zuvor. Ein Indikator dafür sind auch zahlreiche neue frauenspezifische Produkte. Der Lawinenairbag-Hersteller ABS präsentiert für den Winter 2014/15 seine überarbeitete Powder-line, welche insbesondere auf die weibliche Ergonomie abgestimmt wurde. Erstaunlicherweise schlägt sich diese Zunahme an Frauen im Backcountry jedoch nicht in den Unfallstatistiken nieder. Eine geschlechterspezifische Analyse der Lawinenunfälle im freien Skiraum der letzten fünf Jahre bestätigt ein unverändert männerdominiertes Bild: 85% der in einen Lawinenabgang involvierten Personen sind männlich, nur 12% der dabei tödlich Verunfallten sind Frauen. Sind Frauen risikobewusster als Männer?
Gerade in den letzten Jahren habe sich der Freeride-Sport der Frauen rasant weiterentwickelt, bestätigen die beiden Profi-Freeriderinnen Sandra Lahnsteiner und Eva Walkner. "Wir Frauen sind definitiv sichtbarer geworden in der Szene", so Lahnsteiner. "Das liegt zum einen am stetig steigenden Niveau der Mädels auf der Freeride World Tour, zum anderen an der wachsenden Sichtbarkeit und Performance von uns Frauen in Freeski-Filmproduktionen sowie dem Support seitens Sponsoren und Medien."
Eva Walkner sieht eine ebenso rasante Entwicklung im Hobby-Bereich: "Das Level bei den Frauen wird Jahr für Jahr nach oben gepusht. War es vor fünf Jahren noch etwas Besonderes einen Backflip zu machen, können das heute auch schon Freizeitsportlerinnen. Freeriden ist mittlerweile ein Lifestyle-Sport, der cool ist und durch den man sich selbst ausdrücken und Spaß mit seinen Freunden haben kann. Der Weg geht eindeutig immer mehr von der Piste ins freie Gelände - auch bei Frauen."
Alpinunfälle bleiben Männerdomäne
Allgemein schlage sich die starke Zunahme an aktiv ausübenden Sportlern sowohl beim Variantenfahren/Freeriden als auch bei Skitouren in der Unfallstatistik nieder, wenn auch bei Weitem nicht so stark wie es zu erwarten wäre, so Andreas Würtele vom Österreichischen Kuratorium für Alpine Sicherheit: "Aus Sicht der Unfallforschung bleibt der Alpinunfall jedoch eine Männerdomäne. So sind fast 75% der Verunfallten beim Freeriden Männer, bei den tödlich Verunfallten sogar über 90%. Beim Skitourengehen ist der Frauenanteil zwar etwas höher, aber zwei Drittel der Verunfallten sind immer noch Männer, die Todesrate liegt hier ebenfalls bei 9:1. Es ist keine statistisch signifikante Zunahme von Frauen beobachtbar, obwohl es offensichtlich wesentlich mehr Freeriderinnen und Skitourengeherinnen gibt als noch vor 5 Jahren."
Die Typologie des klassischen Lawinenopfers: männlich, 30-50 Jahre
Michael Larcher vom Österreichischen Alpenverein (OeAV), selbst Bergführer und Sachverständiger für Alpinunfälle, bestätigt: "In Österreich sind pro Jahr durchschnittlich 26 Lawinentote zu beklagen. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung ist es jedoch statistisch gesehen nicht der jugendliche, leichtsinnige Freerider, der in der Lawine stirbt, sondern durchaus der klassische Tourengeher. Das typische Lawinenopfer ist männlich, zwischen 30 und 60 Jahre alt, gut ausgerüstet und oftmals ortkundig."
Woran könnte das liegen? Eva Walkner meint: "Mit Sicherheit sind Frauen im Allgemeinen vorsichtiger als Männer, ich denke, das liegt einfach in unserer Natur." Ob sich Frauen in Gefahrensituationen anders verhalten als Männer, könne sie so nicht bestätigen. Damit teilt sie auch die Einschätzung der amerikanischen Profi-Freeskierin Elyse Saugstad, die ergänzt: "Ich denke nicht, dass es ein geschlechterspezifisches Verhalten im Backcountry gibt. Wie die Leute in Gefahrensituationen reagieren ist eher davon abhängig, ob die jeweilige Person auf derartige Situationen vorbereitet und trainiert ist. Andererseits lässt sich auch aus den amerikanischen Statistiken ablesen, dass der Großteil der Lawinentoten männlich ist. Ich schließe daraus, dass viele junge Männer eine höhere Risikotoleranz haben als Frauen. Unerfahrenheit, Draufgängertum und Naivität sind Charaktereigenschaften, die im Backcountry zum Problem werden können."
Geschlechterunabhängig gelte es daher, sich stets gut vorbereitet und niemals alleine ins freie Gelände zu wagen, so Walkner: "Keinesfalls verzichten darf man im Backcountry auf seine/n Begleiter, die Notfallausrüstung (LVS-Gerät, Sonde, Schaufel) und ABS-Rucksack." Neben passender Bekleidung und adäquater Ausrüstung dürften Frauen aber das Allerwichtigste nicht vergessen: "Einen großen Smile im Gesicht!"
Ausrüster setzen auf frauenspezifische Produkte
Mehr denn je setzen Hersteller darauf, Produkte nicht nur farblich, sondern insbesondere technisch und von der Passform her an die spezifischen Anforderungen der Benutzerinnen anzupassen, so Andreas Würtele. Auch der Lawinenairbag-Hersteller ABS präsentierte im Januar auf der ISPO 2014 seine überarbeitete "Powder-line" für den Winter 2014/15. Die für kürzere Rückenlängen entworfene Base-Unit bietet dank der neuen Form der Rückenplatte, den ergonomisch auf die weibliche Physiognomie angepassten Schulterträgern und dem eng anliegenden Neopren-Hüftgurt speziell für Frauen eine besonders gute Passform. Auch bei den kompatiblen Packsäcken tut sich einiges: Im Vergleich zu den Vorjahren (nur 5L und 15L) wird die Powder-line durch einen größeren Zip-on mit 26L komplettiert, der sich hervorragend zum Tourengehen eignet und über vielfältig nutzbare neue Fächer verfügt.
Für Sandra Lahnsteiner eine erfreuliche Entwicklung: "Wir Frauen haben einfach einen anderen Körperbau und eine andere Athletik als Männer, deshalb macht es Sinn zum Beispiel einen kürzeren Rucksack oder Protektor zu haben, der einfach auch kleineren Frauenrücken passt." Eva Walkner geht es gerade beim Rucksack darum, dass dieser gut sitzt. "Die Schnitte der Herrenrucksäcke sind für mich meistens zu groß und ich fühle mich nicht wohl."
Bildrechte: ABS Avavalanche Airbag/Roman Lachner
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