Die vollständige stoffliche Verwertung von Klärschlamm wird Realität
16.10.2017
Umwelt & Energie
Die iGas energy GmbH hat ein Verfahren entwickelt, mit dem Klärschlamm vollständig in den Stoffkreislauf zurückgeführt wird. Die Endprodukte sind vermarktbare Wertstoffe, unter anderem pflanzenverfügbarer Phosphor, sowie das Synthesegas "HyGas", das verstromt werden kann. Das Unternehmen aus Stolberg plant, eine Pilotanlage zu bauen, die Faulschlamm aus Kläranlagen verarbeitet und zusätzlich alle anderen in Kommunen anfallenden organischen Abfälle aufnimmt.
Bei der Aufbereitung organischer Abfälle macht iGas energy alle im Schlamm enthaltenen Stoffe restlos verwertbar. Es entstehen keinerlei Abfallstoffe, sondern nur Wertstoffe, die dem Stoffkreislauf zugeführt werden. Das neue HyGas-Verfahren eignet sich nicht nur für Klärschlamm: In derselben Anlage können auch andere organische Abfälle verarbeitet werden, so zum Beispiel Bio-Abfall wie Grünschnitt oder Trester, Gärreste aus Biogas-Anlagen und Gülle, aber auch Abfälle aus der Lebensmittelindustrie.
Mit dem neuen Verfahren löst iGas energy ein schon jetzt bestehendes Problem, das sich mit Inkrafttreten der neuen Klärschlammverordnung deutlich verschärfen wird: Klärschlamm darf in Zukunft in Müll- und Mitverbrennungsanlagen nur noch dann verbrannt noch in großen Mengen in der Landwirtschaft ausgebracht werden, wenn der im Schlamm enthaltene Phosphor zurückgewonnen wird. Hierfür existierte bisher keine Lösung.
Karl-Heinz Lentz, der Gründer und Geschäftsführer von iGas energy, sieht hohen Bedarf für neue Lösungen: "Die Klärschlammverordnung ist verabschiedet und wird umgesetzt. In Zukunft müssen in Deutschland jährlich rund 1,8 Millionen t Klärschlamm-Trockensubstanz anders entsorgt werden. Mit der dem HyGas-Verfahren machen wir aus organischem Abfall Wertstoffe und senken gleichzeitig die Entsorgungskosten drastisch. Unser HyGas-Verfahren ist das einzige, mit dem Betreiber von Kläranlagen die neue Klärschlammverordnung erfüllen können."
Darüber hinaus hat HyGas hohes Potenzial, die Abhängigkeit Deutschlands vom Phosphorimport zu mindern: Würden alle deutschen Kläranlagen nach dem Verfahren arbeiten, könnten jährlich etwa 55.000 t Phosphor zurückgewonnen werden - das entspricht rund 60 Prozent des Bedarfes an Phosphor.
Mehr Einnahmen, niedrigere Kosten
Alle im Klärschlamm enthaltenen festen Stoffe, Mineralstoffe, Schwermetallsalze und pflanzenverfügbare Nährstoffsalze vermarktet werden. Potenzielle Abnehmer dieser Wertstoffe sind die Baustoff-, Dünger- und die Metallindustrie. Das Synthesegas und der damit erzeugte Strom können in den Kläranlagen genutzt werden, was zusätzlich eine Einsparung von CO2 mit sich bringt.
Auch die Kostenseite sieht positiv aus: Klärschlamm braucht in Zukunft weder transportiert, noch verbrannt oder deponiert zu werden. Insgesamt ergeben sich äußerst geringe, langfristig stabile Entsorgungskosten, was den Zielen der Kommunen sehr entgegenkommt. Berechnungen zeigen, dass die Entsorgungskosten einschließlich der Rückgewinnung des Phosphors pro Einwohner und Jahr langfristig stabil auf etwa vier Euro gehalten werden können. Dabei sind die Erlöse aus dem Verkauf der Wertstoffe noch nicht berücksichtigt.
Die Technik
Die im Klärschlamm enthaltene, nasse organische Masse wird in überkritischem Wasser - bei einen Druck von mehr als 250 bar und einer Temperatur über 600 °C - in Synthesegas aufgespalten, das gespeichert und später auch verstromt werden kann. Es besteht aus Kohlendioxid, Methan und Wasserstoff, ferner aus Propan und Ethen. Da das Gas unter hohem Druck steht, kann es leicht gespeichert werden.
Auch alle festen Inhaltsstoffe des Klärschlamms - Mineralstoffe und Salze - werden verwertet: Es entstehen keinerlei Abfallprodukte, die entsorgt werden müssen. Die im Prozess anfallenden Nährstoffsalze - unter anderem Phosphor - sind hoch pflanzenverfügbar und eignen sich deshalb ideal als Rohstoff für die Herstellung von Dünger.
Ein willkommener Nebeneffekt ist auch, dass der Schlamm bei den hohen Temperaturen im Prozess quasi "en passant" hygienisiert wird. Medikamentenrückstände, die im Klärschlamm enthalten sind, geraten so nicht zurück in die Nahrungskette.
Kläranlagen werden zu Kraftwerken
Auch die Energiebilanz des Prozesses ist positiv. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass im Gegensatz zu traditionellen Verfahren keine Vortrocknung des nassen Schlamms erforderlich ist und keine Verdampfungsverluste entstehen.
Lentz will Kläranlagen zu Stromerzeugern machen: "Das Abwasser, das in die Kläranlagen kommt, enthält so viel chemisch gebundene Energie, dass die Anlagen eigentlich mit Energieüberschuss arbeiten müssten. Heute sind sie jedoch fast ausnahmslos Energieverbraucher. Die etwa 10.000 kommunalen und industriellen Kläranlagen in Deutschland benötigen jährlich etwa 4.400 GWh Strom - nur für die Reinigung des Abwassers! Bei der Überkritischen Gaserzeugung dahingegen ist die elektrische Energiebilanz positiv: So können die Betreiber den Strom, den sie in ihrer Kläranlage erzeugen, selbst nutzen oder verkaufen. Und bei der Verstromung entsteht kein Kohlendioxid."
Die Pilotanlage
iGas energy plant, eine erste marktgerechte Anlage im industriellen Maßstab zu bauen, die entwässerten Faulschlamm verarbeiten soll. Mit einer Kapazität von 200.000 Einwohnerwerten soll sie die weltweit größte Anlage zur vollständigen stofflichen Verwertung von Klärschlamm sein.
Hintergrund: Überkritisches Wasser
Überkritisches (auch "superkritisch" genanntes) Wasser entsteht jenseits des "kritischen Punktes" bei einer Temperatur von mindestens 374 °C und einem Druck von mindestens 221 bar. Es ist dicht wie eine Flüssigkeit, hat aber dieselbe Viskosität wie ein Gas.
In diesem "vierten Aggregatzustand" gehen organische Stoffe vollständig in Lösung. Oberhalb von 500 °C ist das überkritische Wasser nicht nur Lösungs-, sondern auch Reaktionsmittel: Es ermöglicht die Oxidationsreaktion, bei der die organischen Verbindungen in das Synthesegas "HyGas" aufgespalten werden.
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