Pressemitteilung von Buchautor Dr. Thies Claussen

Erhards Soziale Marktwirtschaft ist und bleibt ein Erfolgsmodell


Unternehmen, Wirtschaft & Finanzen

Erhards Soziale Marktwirtschaft ist und bleibt ein ErfolgsmodellLudwig Erhard ist der Wegbereiter unseres heutigen Wohlstands. Mit Ludwig Erhard verbinden wir das "Wirtschaftswunder" nach dem Zweiten Weltkrieg, die D-Mark und die Errungenschaften der Sozialen Marktwirtschaft. Eine neue von Dr. Thies Claussen vorgelegte Biografie beschreibt das Leben und die politische Lebensleistung von Ludwig Erhard und stellt die Frage, an welche neuen Herausforderungen die Soziale Marktwirtschaft heute angepasst werden muss.

Erhards Soziale Marktwirtschaft ist und bleibt ein Erfolgsmodell. Um Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft besser beurteilen und mitgestalten zu können, ist es heute eine unverzichtbare Vorrausetzung, die Chancen und die Rahmenbedingungen der von Ludwig Erhard maßgeblich geschaffenen Sozialen Marktwirtschaft genauer zu kennen. Die Soziale Marktwirtschaft ist kein starres System. Das richtige Verhältnis zwischen Freiheit und Eigenverantwortung einerseits und sozialer Sicherung und Regulierung andererseits muss ständig neu ausgehandelt werden.

Es gehört zweifellos zum Verdienst Erhards, die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft mit Mut, Überzeugungskraft und Ausdauer politisch durchgesetzt zu haben. Erhard suchte nach einem "dritten Weg" zwischen Planwirtschaft und völlig freier Marktwirtschaft. Marx und andere Kollektivisten betrachtete Erhard als Gefahr für die menschliche Freiheit. Planwirtschaft sah Erhard aufgrund seines Wissens über die sowjetische Wirtschaft und aufgrund seiner Erfahrungen im Dritten Reich als zum Scheitern verurteilt an. Dem Staat fehle schlicht das Wissen, eine ganze Volkswirtschaft wirkungsvoll zu steuern.

Erhard äußerte sich dazu folgendermaßen: "Aus wissenschaftlicher Erkenntnis und praktischer, historischer Erfahrung lehnen wir jegliche Formen einer staatlich zentralistischen, bürokratischen Planwirtschaft ab, da diese zu einer Verkümmerung der Produktivität, zu einer Willkür der Verteilung und zuletzt zur Aufhebung der freien Berufs- und Konsumwahl als der unantastbaren Grundrechte der menschlichen Freiheit in einer echten Demokratie führen muss. Die staatliche Planwirtschaft erweist sich, sofern sie nicht zum brutalen Zwange führen soll, als eine das eigene System sprengende Fehlkonstruktion."

Erhard lehnte aber auch den Gegenpol zur Planwirtschaft, den unbeschränkten freien Markt ab. Der Laissez-faire-Kapitalismus habe nur zur Ausbeutung von Arbeitnehmern und zur Prellung von Verbrauchern geführt. Erhard: "Nicht die freie Marktwirtschaft des liberalistischen Freibeutertums einer vergangenen Ära, auch nicht das "freie Spiel der Kräfte" und dergleichen Phrasen, mit denen man hausieren geht, sondern die sozial verpflichtete Marktwirtschaft, die das einzelne Individuum wieder zur Geltung kommen lässt, die den Wert der Persönlichkeit obenan stellt und der Leistung dann aber auch den verdienten Ertrag zugutekommen lässt, das ist die Marktwirtschaft moderner Prägung."

Nach Erhards Auffassung soll in der Sozialen Marktwirtschaft der Staat die Wettbewerbsregeln festlegen und dann das System überwachen, aber nicht selbst daran teilnehmen. Der Staat spiele somit für ein reibungsloses Funktionieren der Gesellschaft eine wichtige Rolle. Er ist nach der Konzeption Erhards verantwortlich für die Schaffung und Aufrechterhaltung des Marktsystems, für die Überwachung der sozialen Auswirkungen ökonomischer Entwicklungen, für die Sicherstellung von Wohlstand und Stabilität und für die Förderung von Wachstum und freiem Handel.

Ab 1952 stiegen 20 Jahre lang Bruttosozialprodukt, Reallöhne und Industrieproduktion viel stärker als bei den westeuropäischen Nachbarn. Bald war vom "deutschen Wirtschaftswunder" die Rede. Der anhaltende wirtschaftliche Aufschwung festigte das Vertrauen in die Demokratie. Erhard galt in der Bevölkerung bald als Vater des "Wirtschaftswunders". Er wurde mit seiner rauchenden Zigarre zur Symbolfigur dieses sensationellen Aufschwungs. Mit seiner zunehmend rundlichen, wohlgenährten Erscheinung verkörperte Erhard den wachsenden Wohlstand viel eher als der hagere Adenauer. Diese Rolle Erhards kam auch in seinem 1957 erschienenen Buch "Wohlstand für Alle" zum Ausdruck, das der Redakteur des Handelsblattes, Wolfram Langer, unter Erhards Namen geschrieben hatte.

Erhard selbst schätzte den Begriff "Wirtschaftswunder" nicht. Er sah im rasanten wirtschaftlichen Aufschwung vielmehr die logische Folge seiner liberalen Wirtschaftspolitik. Früh erkannte er auch die Gefahren für die weitere Entwicklung. In "Maßhalte-Appellen" warnte er vor übermäßigem Konsum, ausufernden Lohnsteigerungen und zu stark wachsenden Sozialleistungen. Auch Lohnzusatzkosten und Steuerbelastung sollten nach Erhards Auffassung nicht zu stark ansteigen. Erhard versprach "Wohlstand für Alle" und hielt - zumindest für die meisten - sein Versprechen.

Die 1950er- und beginnenden 1960er-Jahre gelten als gute Zeit. Mit Optimismus und Tatendrang packten die Menschen den gemeinsamen Wiederaufbau an. Die meisten blickten nach vorne und selten zurück. Die düstere NS-Vergangenheit wurde vielfach verdrängt. Schlüsselfiguren waren Millionen leistungswillige, gut qualifizierte Arbeiter und Angestellte und tatkräftige Unternehmerpersönlichkeiten. Ab 1956/1957 herrschte Vollbeschäftigung. In Deutschland begann man, ausländische Arbeitskräfte, die "Gastarbeiter", anzuwerben.

Die heutige Soziale Marktwirtschaft steht zweifellos vor vielen wichtigen Herausforderungen. Hierzu drei Beispiele zu wichtigen Themen: den Freihandel, den Wettbewerb und die Sozialpolitik.

Erstes Beispiel: Ludwig Erhard trat als überzeugter "Atlantiker" für den Freihandel im Rahmen eines freien und offenen Welthandels ein, der allen zugutekommen sollte. Der frühere amerikanische Präsident Donald Trump betrieb hingegen mit seinem Motto "America First" eine protektionistische Abschottungspolitik, die für den freien Welthandel erhebliche Probleme zur Folge hat und im Widerspruch zu den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft steht.

Jahrzehntelang expandierte der Welthandel mit Gütern und Dienstleistungen. Doch in jüngster Zeit haben sich die Vorzeichen geändert. Die Globalisierung wandelt sich und ist ins Stocken geraten. Da der weltweite Handel nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer kennt, haben die Befürworter protektionistischer Maßnahmen Zulauf bekommen. Zudem haben Pandemie, Kriege und Lieferkettenprobleme zu einer Neuaufstellung der globalen Handelsordnung geführt. Die Geopolitik zwingt Deutschland und die Europäische Union zu einer Neuorientierung.

Ein zweites Beispiel: Erhard bezeichnete den Kampf gegen Kartelle als seine wichtigste Aufgabe. Heute stellen Internetgiganten aus dem Silicon Valley und aus China die Wettbewerbsbehörden vor neue und große Probleme. Egal ob Alphabet/Google, Apple, Facebook/Meta, Amazon, Microsoft oder in China Alibaba, Baidu oder Tencent: Die neue Plattform-Ökonomie führt international über gewaltige Netzwerkeffekte und neue Datenmonopole zu erheblichen Marktkonzentrationen und Wettbewerbsverzerrungen.

Das Bundeskartellamt versucht sein Möglichstes, auch wenn es so aussieht wie der Kampf David gegen Goliath. Im Jahr 2021 hat Bundeskartellamt mit der 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ein neues Instrument im Bereich der erweiterten Missbrauchsaufsicht über große Digitalkonzerne erhalten (§ 19a GWB). Seitdem hat das Bundeskartellamt mehrere Verfahren gegen Alphabet/Google, Apple, Facebook/Meta und Microsoft eingeleitet und bereits einige Verbesserungen erreicht. Weitere Verfahren wurden unter anderem gegen Amazon und gegen Hotelbuchungsportale geführt. Dies sind sicher wichtige Schritte der Kartellbehörde, allerdings bleibt offen, ob die gewünschte Wirkung wirklich erreicht wird.

Ein Wettbewerbsthema das aktuell wieder an Bedeutung gewinnt, ist die Industriepolitik. Müssen Deutschland und Europa künftig eine aktivere europäische Industriepolitik betreiben, um mit den USA und China mithalten zu können? Aktive Industriepolitik war gerade in Deutschland lange verpönt. Das Credo im Sinne Ludwig Erhards lautete, der Staat solle günstige Rahmenbedingungen für die Unternehmen schaffen und sich ansonsten heraushalten.

Jetzt aber besteht die Gefahr, dass Europa ohne aktive Industriepolitik gegenüber USA und China bei wichtigen Schlüsselindustrien wie Künstliche Intelligenz, 3D-Druck oder Elektromobilität massiv ins Hintertreffen geraten kann. Industriepolitik ist nicht mehr das Tabu, das es jahrzehntelang war. Es ist eine gewaltige, noch nicht gelöste Aufgabe für die nächsten Jahre, einerseits dem internationalen Druck aus USA und China standzuhalten, ohne andererseits den Wettbewerb einzuschränken und neue Kartelle und Monopolisten zu befördern.

Das dritte Beispiel: die Sozialpolitik. In der Sozialpolitik setzte Ludwig Erhard darauf, über mehr Wachstum zu mehr Wohlstand für den Einzelnen zu gelangen. Der Fokus lag für Erhard auf der Vergrößerung des Kuchens, nicht auf Verteilungskämpfen. Dazu Erhard: "Die Lösung liegt nicht in der Division, sondern in der Multiplikation des Sozialprodukts. Diejenigen, die ihre Aufmerksamkeit den Verteilungsproblemen widmen, werden immer wieder zu dem Fehler verleitet, mehr verteilen zu wollen, als die Volkswirtschaft nach Maßgabe der Produktivität herzugeben in der Lage ist."

Erhard trat zwar für soziale Sicherung ein, war aber gegen den Versorgungsstaat. Individuelle Verantwortung und Eigeninitiative müssten erhalten bleiben. Die SPD hat sich 2019 zu einem neuen Sozialstaatskonzept bekannt, das eine Abkehr von Hartz IV durch Einführung eines neuen Bürgergelds beinhaltet. Auch soll eine Grundrente für Geringverdiener eingeführt werden. Aus den Reihen der CDU kam sofort die Kritik, die SPD wolle "die Soziale Marktwirtschaft beerdigen". Hier eine gerechte und ausgewogene Balance zu finden, bleibt auch künftig eine der großen Herausforderungen für die Soziale Marktwirtschaft.

Soziale Marktwirtschaft ist heute sicher kein starres Modell. Soziale Marktwirtschaft muss immer wieder neu gedacht werden. Sie ist aufs Ausbalancieren angelegt. Wirtschaftliche Vernunft und sozialer Ausgleich müssen unter ständig sich wandelnden Bedingungen austariert werden. Soziale Marktwirtschaft ist nur überlebensfähig, wenn sie an die sich wandelnden Rahmenbedingungen angepasst wird.

Viele Herausforderungen setzen Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit schon heute unter Druck. Strukturwandel in einer bisher nicht bekannten Intensität wird der Wirtschaft und Gesellschaft große Anpassungsleistungen abverlangen. Die Herausforderung, Wachstum mit der Verteilung von Chancen und Wohlstand in der Gesellschaft in einer Balance zu halten, wird unter diesen Bedingungen nicht kleiner, sondern größer.

Soziale Marktwirtschaft ist Leitprinzip für einen Staat, der nicht allein nur als Wächter über effiziente Märkte fungiert, sondern der immer wieder neu aufgefordert ist, die Grundlagen für einen auch global erfolgreichen Wirtschaftsstandort zu legen. Nur dann kann die Soziale Marktwirtschaft gewährleisten, dass alle Menschen in Deutschland die Chance haben, an den gemeinsam erwirtschafteten Wohlstandszuwächsen teilzuhaben.

Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, sieht die Soziale Marktwirtschaft zwar mehr denn je als geeigneten Gesellschaftsvertrag an, um die riesigen Herausforderungen von Globalisierung und technologischem Wandel erfolgreich zu meistern. Nach Meinung Fratzschers funktioniere heute zu häufig weder die Marktwirtschaft noch der Sozialstaat. Das Ideal von Ludwig Erhard sei es gewesen, dass alle Menschen ihr Leben frei und in Eigenverantwortung gestalten können und dass sie mit eigener Hände Arbeit für sich und ihre Familie auskömmlich sorgen können.

Dieses Versprechen werde heute - so Fratzscher - für zu viele Menschen gebrochen. Die erforderliche Chancengleichheit gelte heute für zu wenige Menschen in Deutschland, deren Zukunft schon früh festgelegt wird und zu stark vom sozialen Status der Familie, vom Geschlecht oder der Herkunft bestimmt wird, und zu wenig von individuellen Talenten und Fähigkeiten. Die Politik sollte nach Auffassung Fratzschers der Stärkung der Sozialen Marktwirtschaft hohe Priorität geben. Mehr Umverteilung durch Steuern und Transfers würde die Soziale Marktwirtschaft nicht wieder reparieren können, denn kein noch so großer Sozialstaat könne je eine fehlende Chancengleichheit kompensieren.

Die Politik müsse, betont Fratzscher, nun endlich ihre Chance nutzen, um ihre Versprechen einzulösen und Europa zu reformieren, die Digitalisierung erfolgreich zu gestalten und die Qualität des Bildungssystems für alle nachhaltig zu verbessern. Zudem müssten die Rahmenbedingungen für öffentliche und private Investitionen verbessert werden. Schließlich müsse Deutschland auch innovativer werden und brauche dazu mehr junge Unternehmen und mehr Risikokapital.

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