Die Kunst des Neubeginns
20.08.2024
Unternehmen, Wirtschaft & Finanzen
Autor: Reinhard F. Leiter, Executive Coach München
Im Jetset-Leben der Selbstoptimierung und des Dauergrinsens ist Scheitern zum hippen Trend avanciert. Das Scheitern wird glorifiziert. Sensationsgier und Schadenfreude bejubeln den Sturz der Giganten, seien es Sebastian Kurz, Alfons Schuhbeck, Rene Benko oder der FC Bayern München. Häme und Verachtung statt Analyse und Mitgefühl. Aber wann wurden die Menschen so sadistisch?
Die rosarote Brille des Scheiterns abzunehmen, bedeutet zu akzeptieren, dass Scheitern zum Leben gehört, so schmerzhaft es auch sein mag. Ohne Garantie auf Erfolg. Aber nüchtern und analytisch betrachtet, ohne Häme und Schadenfreude, entsteht Erfolg durch Beharrlichkeit, durch Glück und Talent, aber natürlich auch durch das Lernen aus Fehlern. Erfolg entsteht durch Erfolg und nicht nur durch Misserfolg. Wenn man sich dessen bewusst ist, können Fehler einen bereichern, reifer und auch menschlicher machen. Das Vermeiden ist nicht die Lösung, sondern der Umgang.
Erfolg - Fiktion vs. Wahrheit
Leichter gesagt als getan. In der Legende landen die gescheiterten Unternehmer meist wieder auf ihren Füßen, die gescheiterten Genies lernen aus ihren Fehlern und steigen zu neuen Höhen auf. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Für vermeintlich kühle Manager und Ingenieure ist die Verarbeitung negativer Gefühle ein Muss. Denn Scheitern schlägt aufs Gemüt, lähmt und lässt Zweifel wachsen. Der eigentliche Lernprozess beim Scheitern besteht darin, sich selbst und sein Umfeld besser kennen zu lernen und sich zu fragen, was man wirklich will, was man kann und wo die eigenen Grenzen liegen. Sonst blockieren die Emotionen. Scheitern ist wie ein Tritt in den Hintern, der einen zwingt, die Komfortzone zu verlassen und sich neu zu erfinden. Frei nach dem Sprichwort, dass es keine Schande ist, hinzufallen, sondern eine Schande, nicht wieder aufzustehen, sollte man das Scheitern als Chance für einen Neuanfang begreifen.
Ein ausgezeichnetes Beispiel, um dieses Sprichwort zu untermauern ist Karl Marx, seines Zeichens ein Trotzkopf, Revolutionär, Denker, Familienmensch mit einem Jahrhundertwerk, das zu seinen Lebzeiten noch keines war. Armut, verstorbene Kinder und quälende Krankheiten prägten auch sein Leben. Doch Scheitern war für ihn kein Grund aufzugeben, sondern Ansporn, weiterzumachen, neu anzufangen, sich immer wieder mit sich und seiner Umwelt auseinanderzusetzen.
"Es muss endlich funktionieren und ich muss Erfolg haben!"
Wer immer siegen will, wird todsicher enttäuscht werden. Es gibt immer einen größeren Fisch im Teich, und auch die zweite Geige der Berliner Philharmoniker ist eine gescheiterte erste Geige. Für Manager ist die Arbeit der Schlüssel zur Selbstverwirklichung. Sie träumen davon, durch Leistung und Erfolg zu einem einzigartigen, unverwechselbaren Menschen zu werden. Aber das ist zum Scheitern verurteilt. Man muss verstehen, dass das Unternehmen Leistung nimmt und dafür Geld gibt, aber keinen sicheren Hafen für die eigenen Sehnsüchte bietet. Das Arbeitsleben ist hart, ungerecht und geprägt von Neid, Intrigen und zermürbender Konkurrenz. Das Ergebnis sind Frustration, Enttäuschung und das Gefühl, versagt zu haben. Um der "Managerfalle" zu entkommen, muss man begreifen, dass man mehr ist als die eigene Karriere und dass die Arbeit nicht den eigenen Selbstwert definiert.
Phantom
Wie das Phantom in der Oper trägt jeder im Leben eine Maske. Die Maske ist künstlich, aber dahinter verbirgt sich das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Der daraus resultierende Konflikt kann nicht durch noch mehr Arbeit, Alkohol oder andere Rauschmittel, Macht oder Sex in seinen verschiedenen Formen gelöst werden. Die Folge sind psychische und soziale Störungen wie Materialismus, Druck, Burnout, Sinnlosigkeit und Zynismus. Aus dieser Situation führt nur der Weg der Selbsterkenntnis und des Loslassens. Es ist ein Weg voller Herausforderungen, aber auch voller unentdeckter Möglichkeiten. Dass man am Ende auf alle Fragen eine Antwort hat, ist unwahrscheinlich, aber es ist ein Prozess.
Feedback, please!
"Erkenne dich selbst und werde der du bist!", sprach Sokrates und wusste schon damals, dass man die blinden Flecken nur bei anderen sieht, nicht aber im eigenen Spiegelbild. Warum sich also nicht gegenseitig durch Feedback helfen? Die Realität in einem Unternehmen, das von Jahresgesprächen, 360-Grad-Feedbacks und Mitarbeiterbefragungen geprägt ist, scheitert letztlich an mangelndem Respekt, fehlender Anerkennung und Feigheit.
Führungskräfte fürchten die Kritik und trauen sich oft nicht, ihren Mitarbeitern die Wahrheit zu sagen. Wie überall "macht der Ton die Musik", und ein konstruktives Feedbackgespräch kann wie ein Spiegel wirken, der einem das eigene Ich vor Augen führt. Das Spiegelbild mag uns nicht immer gefallen, aber für die Selbstreflexion ist es notwendig. Nur wer nicht wegläuft, sondern das Feedback annimmt und ernst nimmt, kann sich verbessern, seine Schwächen überwinden und ein besserer Mensch werden.
Wechsel mich ein, Coach!
Das reine Führen im Sinne von Befehlen und Anweisen führt letztlich nur zu Schlaflosigkeit, Verspannungen, Rücken- und Nackenschmerzen, Selbstüberforderung, Minderwertigkeitsgefühlen, Kränkungen, Existenzängsten, zwanghaftem Denken und Getriebensein.
Dieses Führungsmodell gehört der Vergangenheit an. Die Zeit ist reif für das potentialorientierte Führen. Im Zentrum steht der autonome, eigenverantwortliche Mitarbeiter, der im Hier und Jetzt handelt, auf sich und seine Gesundheit achtet und seine volle Leistungsfähigkeit entfalten kann. Eine potentialorientierte Führung bedeutet Freiräume zu schaffen, in denen Mitarbeiter eigenverantwortlich handeln und ihre Kreativität entfalten dürfen. Außerdem wird die Selbstreflexion durch regelmäßiges Coaching gefördert, um die eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen und weiterzuentwickeln. Auf diese Weise steigert ein Unternehmen Produktivität und Kreativität, senkt Fluktuation und Krankenstand und schafft ein gesundes und positives Arbeitsklima mit motivierten und engagierten Mitarbeitern.
Von der Anweisung zur Inspiration
Die moderne Arbeitswelt definiert sich nicht mehr über Anweisungen und Befehle, sondern setzt auf Inspiration und Förderung der Mitarbeiter, um sie zu Höchstleistungen anzuspornen. Diese Form des Coachings der Mitarbeiter ist heute wichtiger denn je und lässt sich auf vielfältige Art und Weise erreichen.
Durch gezieltes Training und Übungen entwickeln die Mitarbeiter eine hohe Sensibilität für die eigene Wahrnehmung und das eigene Handeln und schärfen so ihre Selbstwahrnehmung. Mit Hilfe ihrer Coaches bewahren die Mitarbeiter in kritischen Momenten einen kühlen Kopf und treffen Entscheidungen, die sowohl rational als auch menschlich sind. Die vornehmste Aufgabe von Führungskräften als Coaches ist es daher, ein Umfeld zu schaffen, in dem Mitarbeiter ihre volle Energie, Kreativität und Leidenschaft entfalten können. Denn nur mit motivierten und engagierten Teams lassen sich Herausforderungen meistern.
Coaches alias Führungskräfte sollten echtes Interesse an ihren Mitarbeitern zeigen und deren Situation und Bedürfnisse verstehen. Durch offene und neutrale Fragen regen sie ihre Mitarbeiter zum Nachdenken und zur Selbstreflexion an und geben Orientierung statt Anweisungen. Auf diese Weise lernen die Mitarbeiter, sich eigenständig auf neue Herausforderungen einzustellen und innovative Lösungen zu entwickeln. Da Coaching kein isoliertes Führungsinstrument ist, sondern die gesamte Unternehmenskultur durchdringt, fördert es die Zusammenarbeit, die Kommunikation und das gegenseitige Vertrauen. So entsteht ein Umfeld, in dem sich alle Mitarbeiter wohlfühlen, ihre Potenziale voll ausschöpfen und zum gemeinsamen Erfolg beitragen können.
Die DNA eines Unternehmens
Wichtig ist ein Umfeld von Regeln, Werten und Visionen, die den Mitarbeitern ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle geben. Wie die Spielregeln, die einem im Sport oder Spiel leiten. Oder auch die gemeinsamen Werte - die DNA eines Unternehmens, die allen Orientierung und Zusammenhalt gibt. Wenn diese Einstellungen und Form der Kommunikation in einem Unternehmen gefestigt sind und es durchdringen, dann ist auch das Scheitern, das Fehlermachen nur eine Phase der Entwicklung und ein Treibstoff des Lernens - mit der Gewissheit, dass der Kampf, das Leben weitergeht. Scheitern wird dann nicht zur bloßen Vorstufe des Erfolgs, sondern zur Reise an die Grenzen des Möglichen.
Letztlich gilt: Nur wer weiß, was er tut, kann tun, was er will (Moshe Feldenkrais).
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