Neue Optionen für hochfeste Faserseile
19.04.2016
Wissenschaft, Forschung & Technik
Sechs Jahre Forschungsarbeit stecken in einer neuen Seilendverbindung aus Kunststoff, die an der Universität Stuttgart entwickelt wurde. Jetzt hat der Einband für hochfeste Faserseile Marktreife erreicht, ein Prototyp ist bereits im Einsatz. Die Erfinder suchen nun weitere Partner aus der Industrie.
Sie ist leicht, kostengünstig und sehr langlebig: Die neue Seilendverbindung für 4 bis 96 mm starke Faserseile kann einer enorm hohen Zugkraft ausgesetzt werden, ohne zu brechen. Seilendverbindungen sind das Bindeglied zwischen der Verankerung eines Seils und dem Seil selbst. Das Geheimnis der neuen Seilendverbindung liegt im Gießharz und der speziellen Art des Gießens: Es wird um die exakt ein- und vorgespannten Fasern des Seils gegossen. Dabei entsteht eine Einheit aus Seil und Endverbindung, die erst unter extrem hohen Kräften versagt. "In unseren zahlreichen Versuchen konnten wir die Mindestbruchlast des Seilherstellers immer erreichen, oft sogar deutlich überschreiten", erklärt Dipl.-Ing. Sven Winter, der die neuartige Seilendverbindung gemeinsam mit Dipl.-Ing. Anita Finckh-Jung am Institut für Fördertechnik und Logistik (IFT) der Universität Stuttgart entwickelt hat. Mit der Erfindung eröffnen sich für hochfeste Faserseile ganz neue Anwendungsmöglichkeiten, "denn ohne die passende Endverbindung bringt selbst das tollste Seil nichts", wie Sven Winter sagt.
Die innovative Seilendverbindung - die Patentierung läuft derzeit in Europa, USA und China - kann überall dort eingesetzt werden, wo Stahlseile durch hochfeste Faserseile ersetzt werden sollen. Etwa wenn das Gewicht eine Rolle spielt oder die Montage möglichst einfach sein soll. Da ein Faserseil nur etwa ein Achtel eines Stahlseils wiegt und die Verbindung aus Gießharz relativ leicht ist, kann das Gewicht im Vergleich zu herkömmlichen Anwendungen um bis zu 40 Prozent gesenkt werden. "Bei dünnen Seilen spielt das keine große Rolle, aber bei Seilen mit einem Durchmesser von bis zu 96 mm kann der Unterschied enorm sein", betont Sven Winter. Hinzu kommt die einfache Montage: Im hinteren Teil verfügt die Seilendverbindung über eine Montagehülse, die mit wenigen Handgriffen an der Hebevorrichtung befestigt werden kann.
Die Verbindung aus Faserseil und Gießharz ist zudem enorm langlebig, wie zahlreiche Versuche zeigen. "Egal wie oft das Seil be- und entlastet wird, die Verbindung bleibt stets stabil", weiß Sven Winter. Die Zugschwellkraft sei ebenfalls sehr hoch. "Wir haben einen vierwöchigen Test durchgeführt, in dem die Verbindung 1,5 Millionen Mal be- und entlastet wurde. Selbst dabei erreichte sie noch Werte über der Mindestbruchlast des Seils." Weitere Vorteile sind die individuell anpassbare Geometrie sowie die Integrierbarkeit von Sensoren, etwa zur Messung der Zugkraft oder zur Identifikation mittels eines RFID-Chips.
Rund sechs Jahre sind vergangen von der ersten Idee bis zum marktfähigen Produkt. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen für den Know-how-Transfer von der Universität in die Industrie. "Wir sehen viele Einsatzmöglichkeiten in den unterschiedlichsten Bereichen und suchen deshalb Partner aus der Industrie zur wirtschaftlichen Umsetzung", erklärt TLB-Innovationsmanager Dr.-Ing. Hubert Siller. Die Technologie-Lizenz-Büro (TLB) GmbH unterstützt die Universität Stuttgart bei der Patentierung und Vermarktung der Innovation und ist im Auftrag der Universität mit der weltweiten wirtschaftlichen Umsetzung dieser zukunftsweisenden Technologie beauftragt. Denkbar sei der Einsatz beispielsweise in Hebe- und Fördereinrichtungen, an Kränen, im Brückenbau, in der Schiffstechnik sowie für Offshore-Anwendungen wie beim Bau von Windkraftanlagen oder der Verankerung von Ölplattformen, wie Dr.-Ing. Hubert Siller ausführt.
Die Idee zur neuen Seilendverbindung entstand im Rahmen eines Forschungsprojekts am ITF der Universität Stuttgart. "Der zündende Gedanke kam uns, als wir für ein anderes Projekt mit Gießharz arbeiteten. Wir fragten uns, warum man Seile verflechten und einbinden muss, statt sie einfach einzugießen, sodass sie sich quasi von selbst halten", erzählt Erfinder Sven Winter. Gemeinsam mit Kollegin Anita Finckh-Jung machte er sich an den Bau der ersten Prototypen. "Anfangs hatte die Verbindung eine Bruchkraft von nur 30 Prozent, aber wir wussten schon damals, dass da ein großes Potenzial drin steckt." Nach sechs Jahren Forschungsarbeit und unzähligen Versuchen und Modifikationen kann die von Winter und Finckh-Jung entwickelte Endverbindung heute bei Seilen bis 96 mm die komplette Bruchlast aufnehmen. "Dafür gibt es eine Vielzahl von Anwendungen, von ganz kleinen bis sehr großen", glaubt Sven Winter. Was ihm jetzt noch fehlt, sind geeignete Partner aus der Industrie.
Diplom-Ingenieur Sven Winter beschäftigt sich seit rund 20 Jahren mit der Prüfung von Metallseilen. Seit 2007 leitet er die Abteilung Seiltechnologie am von Prof. Dr.-Ing. Karl-Heinz Wehking geleiteten Institut für Fördertechnik und Logistik (ITF) der Universität Stuttgart. 23 Mitarbeiter unterschiedlicher Fachbereiche der Ingenieurwissenschaft arbeiten in Winters Abteilung, die über eine 1300 Quadratmeter große Versuchshalle mit verschiedenen Prüfeinrichtungen verfügt. Zu den Kunden der Abteilung Seiltechnologie des ITF gehören Institutionen der öffentlichen Hand, Industrieunternehmen und Betreiber von Anlagen und Bauwerken.
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