Ein Blick hinter die Kulissen einer evangelikalen Familie
04.11.2014
Kunst & Kultur
Richard Fuchs, (*1937) Autor zahlreicher populärwissenschaftlicher Bücher, auch des emu-Verlags, enthüllt in seiner Autobiografie Erziehungsmethoden einer streng gläubigen Familie. Als Sohn eines Predigers der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde - eine der zahlreichen Freikirchen in Deutschland - beschreibt er eine dort vertretene spezielle Theologie und gewährt Einblicke in eine Welt, die der Öffentlichkeit allgemein verborgen bleibt. Einerseits schätzt er die ethisch- moralischen Werte, die dort vermittelt wurden, andererseits zeigt er auch die Schattenseiten des Dogmas auf, das da heißt: Man muss die Bibel wörtlich nehmen. Das kann unheilvolle Konsequenzen haben wie z. B. Züchtigung mit der Rute - Prügelstrafe - in Deutschland per Gesetz verboten oder die Weisung, seid untertan der Obrigkeit - u. U. ein Freibrief für Kriegsverbrecher. Obwohl die Gemeinden im Dritten Reich als "verbotene Sekten" galten und ihr Vermögen vorübergehend eingezogen war, wurde für den Führer gebetet. Das Buch beschreibt außerdem die Folgen des Redeverbots für die Frau im Gottesdienst und die Unterordnung unter dem Mann - d. h. nein zur Gleichstellung und Emanzipation. Weitere Themen sind die Diskriminierung von Homosexuellen oder unausgesprochene Körperfeindlichkeit. Obwohl nicht nur in evangelikalen Kreisen Sex als Synonym für Sünde gilt, liefert gerade die Bibel zahlreiche Drehbücher für jede Art von Sex and Crime.
Wer je den preisgekrönten Film Das weiße Band von Michael Hanekes gesehen hat, wird ahnen, dass ein Leben nicht nur in einem evangelischen Pfarrhaus, sondern erst recht in einer evangelikalen Familie anders sein kann, als in einer weltoffenen liberalen Familie. In einer solchen Familie mit strengen Regeln, Mutterliebe und Mutterhiebe wuchs der Autor auf. Er schreibt: Wir waren anders als die meisten anderen und pflegten unsere Exklusivität. Sein Vater zählte als Prediger wie auch andere Geistliche zum Bodenpersonal Gottes und er glaubte dessen Weisungen für viele Lebensbereiche zu kennen. Die wurden den Kindern verzehrfertig, aber nicht immer leicht verdaulich serviert - unhinterfragt und unwidersprochen. Zweifel an der Deutungs- und Meinungshoheit ihres Vaters hatten seine Kinder nicht. Denn wer sollte schon dem Wort Gottes und dem seines Interpreten widersprechen?
Das Buch Gott hat viele Fahrräder - ein ambivalentes Originalzitat seines Vaters - bietet aber nicht nur einen Aspekt spezieller Religionsgeschichte, sondern auch ein breites Spektrum an ungewöhnlichen Kindheitsgeschichten, an Regionalgeschichte, Zeitgeschichte und Kulturgeschichte. Schließlich beschreibt das Buch den langen, aber gelungenen Weg einer Emanzipation zu einem selbstbestimmten glücklichen und erfolgreichen Leben.
Richard Fuchs
"Gott hat viele Fahrräder"
Kindheit in einer evangelikalen Familie im Dritten Reich und danach
Engelsdorfer Verlag Leipzig
ISBN 978-3-95744-303-8
257 Seiten
12,00 Euro
Rezensionsexemplare bitte über info@engelsdorfer-verlag.de anfordern.
http://www.engelsdorfer-verlag.de
Engelsdorfer Verlag
Schongauerstraße 25 03429 Leipzig
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