Clara Ratzka: Von Liebe und Exotik
15.03.2011
Kunst & Kultur
In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war die in Hamm geborene Clara Ratzka (1872-1928) eine Starautorin. Schon ihr Erstlingsroman "Blaue Adria" hatte Bestsellerqualitäten. Von vielen jungen Mädchen und Frauen wurde die bewegende Liebesgeschichte zwischen einer kühlen Blondine und einem heißblütigen Zigeuner regelrecht verschlungen. Heute ist Clara Ratzka, wie viele Erfolgsautoren ihrer Zeit, vergessen. Mit einem von Jutta Balster herausgegebenen Clara-Ratzka-Online-Lesebuch erinnert die Literaturkommission für Westfalen beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) jetzt an die erfolgreichste west-fälische Schriftstellerin der Zwanziger Jahre (http://www.lwl.org/LWL/Kultur/westbibl/Ratzka).
Insgesamt zehn weitere Erfolgsromane ließ Ratzka ihrem Erstlingswerk in kurzen Abständen folgen. Und sie verkaufte Filmrechte. Dennoch geriet sie schnell in Vergessenheit. Nicht unbeteiligt an diesem Umstand ist die literarhistorische Geringschätzung der Unterhaltungsliteratur. Die LWL-Literaturkommission beschritt schon 2006 einen anderen Weg und würdigte mit der Ausstellung "Flammende Herzen" dieses in Westfalen bis dato nicht beachtete Genre.
Hintergrund:
Als Ratzka zur Bestsellerautorin wurde, blickte sie schon auf ein ungewöhnliches, ereignisreiches Leben zurück. Als junge Mutter war sie zusammen mit ihrer Tochter der Beengtheit ihrer ersten Ehe und der Spießigkeit des westfälischen Bürgertums entkommen. Sie lebte in der Metropole Berlin und floh später dann in die Arme eines erfolgreichen Malers. In Berlin traf man sie in den angesagten Salons ebenso an wie an der Universität, wo sie ein volkswirtschaftliches Studium aufgenommen hatte. Als wäre das nicht schon der Herausforderungen genug, engagierte sich Ratzka publizistisch und aktivistisch in der Frauenbewegung. Auch sozial Benachteiligten galt ihr Einsatz. Höhepunkt ihrer vorschriftstellerischen Laufbahn war eine Dissertation an der Universität Tübingen.
Ihre eigentliche Berufung fand sie aber erst mit 42. Sie entdeckte ihr schriftstellerisches Talent und machte Karriere. Gleich ihr Debüt "Blaue Adria" war ein Überraschungserfolg. Stilistisch dem Massengeschmack gehorchend, vermittelt der Roman eine modern emanzipative Grundhaltung, die maßgeblich zum Publikumserfolg beitrug.
Ihr zweiter Roman "Die grüne Manuela" (1918) wurde schon vom renommierten Ullstein-Verlag verlegt. Wieder steht ein Frauenschicksal im Mittelpunkt, wieder spielt die Handlung an einem exotischen Schauplatz. Eine offensichtlich erfolgversprechende literarische Rezeptur. Ratzka erzählt die Geschichte des südamerikanischen Findelkinds Manuela, das es mit Ehrgeiz und Willenskraft zur gefeierten Tänzerin schafft. Ratzka, so ein zeitgenössischer Kritiker, gelinge es, "im Spiegelbilde eines Frauenlebens die Freuden und Nöte des ganzen Geschlechts aufzuzeigen".
Aus westfälischer Perspektive ist vor allem der Münsteraner Roman "Familie Brake" zu nennen. "Ein Stadt- und Familienepos, das auch den heutigen Leser mit seinen lebhaften Schilderungen Vorkriegsmünsters noch fasziniert", so Jutta Balster, die in das Lesebuch aber auch die feuilletonistischen Arbeiten Ratzkas aufgenommen hat: Ihre kurzweiligen Impressionen aus der "Weltgroßstadt London", sowie die Schilderung einer Weltreise, die die Autorin 1927 unternahm.
"Die LWL-Literaturkommission entdeckt eine Autorin wieder, die im Kanon der großen Literatur keine Rolle mehr spielt. Dabei haben besonders Autorinnen wie Clara Ratzka motiv- und sujetgeschichtlich tiefe Spuren im Generationsgedächtnis hinterlassen. Ein Blick in die heutigen Bestsellerlisten bestätigt dies", erklärt Prof. Walter Gödden.
Kontakt:
Literaturkommission für Westfalen
Erbdrostenhof
Salzstraße 38
48147 Münster
Markus Fischer,
LWL-Pressestelle,
Telefon: 0251 591-235
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