Stollberg: "Mould Screen" warnt vor kritischen Betriebszuständen beim Stranggießen
06.07.2011
Maschinenbau
Mit "Mould Screen" präsentierte die Stollberg Division der S&B Industrial Minerals GmbH auf der Metec erstmals eine Software zur Modellierung des Verhaltens des Fluxfilms in der Stranggießkokille. Sie erkennt und visualisiert ungünstige Bedingungen in der Kokille, die zu Rissbildung, Durchbrüchen oder anderen Qualitätseinbußen sowie zu Betriebsstörungen führen können, und ermöglicht rechtzeitiges gezieltes Eingreifen.
Mould Screen ermöglicht die Rückwärtsbetrachtung bisher ungeklärter Phänomene, die Begleitung gegenwärtiger Betriebszustände und die vorausschauende Analyse möglicher Szenarien. Die Software stellt alle prozessrelevanten Größen, wie beispielsweise die Strangschalendicke, das Temperaturfeld in der Strangschale und damit die Strangoberflächentemperatur, die lokale und integrale Wärmestromdichte, den Wärmeübergangswiderstand im Fluxfilm und die Fluxfilmdicke (flüssig und fest), die Wassertemperatur in den Kühlkanälen sowie die Temperatur der Kupferplattenhaut dar.
Im Gegensatz zu anderen Modellen und Berechnungsverfahren ist der Wärmeübergangswiderstand (das Verhältnis von Schichtdicke zur Wärmeleitfähigkeit; gemessen in m²K/W) im Gießspalt direktes Ergebnis des Mould Screen-Algorithmus. Er muss nicht, wie bisher üblich, durch mehr oder weniger gut begründete Annahmen vorgegeben werden.
Mit Mould Screen ist erstmals eine unmittelbare Beurteilung des Gießprozesses bei Variation der Gießpulvereigenschaften oder bei Änderung der Betriebsparameter möglich, denn die grafisch aufbereiteten Ergebnisse sind unmittelbar nach Eingabe der Prozessparameter (Gießgeschwindigkeit, Wassermenge, Kokillengeometrie, Gießpulver, Stahlanalyse, etc.) abrufbar. Die Frage: "Was geschieht, wenn sich Gießgeschwindigkeit, Kühlwassermenge, Vorlaufdruck oder -temperatur ändern?" wird bereits während des Gießbetriebes - also online - beantwortet. Auf diese Weise werden das zeitnahe Erkennen von kritischen Betriebszuständen in der Kokille und gezieltes Gegensteuern möglich.
Mould Screen wurde ursprünglich entwickelt, um das messtechnisch nicht erfassbare, produktions- und qualitätsrelevante Verhalten des Fluxfilms zwischen Strangoberfläche und Kokillenplatte zu visualisieren. Darüber hinaus eröffnet sich die Möglichkeit, das thermische Modell mit einem mechanischen Modell der Strangschale zu koppeln. So werden die Spannungen und Dehnungen aufgrund der thermomechanischen Belastung der Strangschale während des Betriebes berechenbar. Maßnahmen zur Vermeidung von Rissen oder Durchbrüchen können so schneller und gezielter ergriffen werden.
Außerdem bietet Mould Screen neue Möglichkeiten, durch die gezielte Einstellung der Randbedingungen für die Infiltration des Gießpulvers im Bereich des Meniskus Durchbrüche zu vermeiden und kann so Systeme zur Durchbruchfrüherkennung verbessern.
Ein besonderer Vorteil des Mould Screen-Algorithmus besteht in der einfachen Anwendbarkeit für Parameterstudien und die inverse Modellierung. Wahlweise kann "Modify" entweder den aktuellen Betriebszustand oder eine vom Tool berechnete Variante auf dem Bildschirm ausgeben. Mithilfe eines Radio-Buttons kann jederzeit zwischen der modifizierten und der aktuellen Gießsituation hin- und hergeschaltet werden.
Für eine gegebene Kokille analysiert "Modify" verschiedene Betriebsszenarien und stellt die Ergebnisse grafisch dar. So kann der Gießprozess bei Variation der Gießpulvereigenschaften oder bei der Änderung von Gießgeschwindigkeit, Wassermenge und Kokillenkonstruktion unmittelbar beurteilt werden. Gemeinsam mit den charakteristischen Temperaturen der Schlacke lassen sich daraus die Fest- und Flüssiganteile im Fluxfilm ermitteln - ein Novum in der Betrachtungsweise des Stranggießens.
Für Studien kann beispielsweise die Gießgeschwindigkeit mithilfe eines Schiebereglers variiert werden - die Ergebnisse erscheinen sofort auf dem Bildschirm.
Mould Screen berücksichtigt unter anderem die Strömungsmechanik, die Wärmeabfuhr von innen nach außen, die Phasenübergänge und temperaturabhängige Materialeigenschaften des Stahls, des Gießpulvers oder der Gießschlacke. Auch die Anlagenparameter, Temperatur, Druck und Menge des Kühlwassers sowie die Oszillation der Kokille und die Entstehung der Oszillationsmarken gehen in die Berechnung ein.
Für die Beurteilung des Einflusses verschiedener Konstruktionsmerkmale und Betriebsweisen von Stranggießkokillen - zum Beispiel von Material und Dicke der Kupferplatten, Gießgeschwindigkeit, Wassermenge - auf das Verhalten des Fluxfilms hat Stollberg das "Modify-Tool" entwickelt. Die Eigenschaften des Gießpulvers erhält die Software aus der umfangreichen Datenbank von Stollberg.
Hintergrund: Computeralgebra
Mould Screen basiert auf einem Algorithmus, der mithilfe der Computeralgebra entwickelt wurde. Mit diesem neuen Entwicklungswerkzeug hat Stollberg die bisher kaum beherrschbaren mathematischen Ansätze bei der Modellierung des Stranggießprozesses in ein Anwendungsprogramm umgesetzt.
Diese Methodik im Grenzbereich zwischen Mathematik und Informatik befasst sich unter anderem mit effizienten Rechenmethoden. Die Ursprünge der Computeralgebra liegen nahezu 175 Jahre zurück, mit dem Siegeszug der PC-Technologie wird sie mehr und mehr für industrielle Anwendungen genutzt.
Zeitaufwendige numerische Rechenschleifen, adaptive Gitterdefinitionen, Konvergenzprobleme und große Datenmengen müssen nicht mehr bewältigt werden. Der Programmieraufwand steht somit in einem günstigen Verhältnis zum gesamten Entwicklungsaufwand. Dies äußert sich auch im Speicherplatzbedarf und der Rechenzeit der Software; beide sind um Größenordnungen geringer als bei der Numerik.
Die Erfolge bei der Beschreibung der Vorgänge im Meniskusbereich zeigen, dass die Computeralgebra das geeignete Werkzeug ist, die bisher kaum beherrschbaren Formalismen aufzulösen.
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