Führungskräfteentwicklung in klein- und mittelständischen Unternehmen oder:
12.05.2011
Unternehmen, Wirtschaft & Finanzen
Der zunehmende Spezialistenmangel - und infolge dessen auch der Führungsnachwuchsmangel - wird sich nach einhelliger Expertenmeinung drastisch verschärfen. Die Politik tut sich nach wie vor schwer damit, die Türen für High-Potentials aus dem Ausland zu öffnen und die Abschlüsse in Deutschland lebender ausländischer Akademiker anzuerkennen. Die Fronten scheinen in dieser Thematik verhärtet.
Selbst wenn insbesondere die hoch innovativen klein- und mittelständischen Unternehmen ihre Abwerbungsaktivitäten von Führungskräften aus Konzernen und Großunternehmen verstärken, bleibt in diesem Unternehmenssegment ein Mangel an Spezialisten und Führungskräften. Einige klein- und mittelständische Unternehmen haben vor diesem Hintergrund erste Führungsnachwuchsprogramme ins Leben gerufen. Ein guter Schritt und wohl auch die einzige Möglichkeit, dem derzeitigen Dilemma zu begegnen.
Aber was bedeutet es, ein Führungsnachwuchsprogramm ins Leben zu rufen? Über welche Kompetenzen sollten angehende Führungskräfte verfügen? Nach welchen Kriterien sind die Programme auszurichten und insbesondere: Welche Mitarbeiter eignen sich für ein Führungsnachwuchsprogramm?
Mit dem Satz "without followers there can be no leader" (ohne Anhänger kann es keinen Führer geben) beschrieben Katz und Kahn schon 1966 eine besondere Art von Führungskompetenz. Als Dr. Michael Frenzel 1994 den Vorstandsvorsitz der Preussag AG übernahm, ahnte er wohl selbst noch nicht, welche Wirtschaftsgeschichte er schreiben würde. Frenzel baute einen "Gemischtwarenladen" von Aktivitäten in den Sektoren Kohle, Schiff- und Anlagenbau, Wohnungen, Stahl und Logistik in einen florierenden Reise- und Freizeitkonzern um. Das Manager Magazin kürte ihn 2000 zum Manager des Jahres. Selbst die Gewerkschaft ver.di bezeichnete die von Frenzel geplante und umgesetzte Umstrukturierung des Konzerns als reibungslos: Bei allen Schritten sei die Arbeitnehmerseite stets berücksichtigt und frühzeitig informiert worden. Die Preussag AG heißt seitdem TUI AG und Dr. Michael Frenzel ist nach wie vor im Amt, nunmehr länger als 16 Jahre - erstaunlich bei der fluktuationsstarken Spezies deutscher Vorstandsvorsitzender.
Um einen derart einzigartigen Strategiewechsel zu vollziehen, bedarf es besonderer Managementkompetenzen. Neben dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens sind verschiedene Interessensgruppen wie Mitarbeiter, Arbeitnehmervertreter und Shareholder zu berücksichtigen beziehungsweise motiviert und erfolgreich in ein neues Umfeld zu führen. Denn Veränderungen schaffen zunächst einmal Unsicherheit. Auf keinen Fall sind es ausschließlich fachliche Kompetenzen, die einen solchen Wechsel ermöglichen. Eine gute Fachkraft ist noch lange keine Führungskraft, wie in vielen Unternehmen leider noch allzu oft angenommen wird. Im Gegenteil: Die fachliche Kompetenz spielt eine untergeordnete Rolle, wie Frenzel, ehemals Banker, unter Beweis gestellt hat. Aber welche Kompetenzen sind erforderlich, um außergewöhnliche Managementleistungen zu vollbringen? Im Wesentlichen handelt es sich dabei um vier Kompetenzen, die einen Menschen zu einer Führungspersönlichkeit reifen lassen:
1. Persönlichkeitskompetenz
In der Psychologie werden die Begriffe Persönlichkeitskompetenz, Individualkompetenz und Selbstkompetenz weitgehend synonym verwendet. Persönlichkeitskompetenz bedeutet, eigene Fähigkeiten und Stärken zu erkennen und damit situationsgerecht zu agieren (vgl. Grimus, 2000). Das bedeutet, mit sich selbstkritisch und reflektierend umgehen zu können, also eigene Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu hinterfragen und eventuell Maßnahmen zur Qualifikation oder auch Verhaltensänderung einleiten zu können. Im Leadership werden Begriffe wie Ethik, Einstellungen, Initiative, Kreativität, Sprache, Auftreten, Erscheinungsbild, Intuition und Selbsterkenntnis als Schlüsselbegriffe hierfür verwendet. Im Wesentlichen geht es um die ureigenen Charaktereigenschaften des Einzelnen und die Fähigkeit, diese fortwährend zu entwickeln. Menschen, denen dies gelingt, genießen in der Regel hohe Anerkennung und werden als authentisch und vertraut wahrgenommen.
2. Sozialkompetenz
Hinter dem Begriff Sozialkompetenz verbirgt sich eine besondere Fähigkeit zur Kommunikation. Über Sozialkompetenz zu verfügen, bedeutet zielorientiert in sozialen Interaktionen zu handeln. Feedbackfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Integrationsfähigkeit und Motivationsfähigkeit sind die Aspekte, die Sozialkompetenz im Management definieren. Es geht darum, durch Sprache und Verhalten (Gestik, Mimik und Ausdrucksweise) zu überzeugen, Meinungen zuzulassen und Konflikte eingehen zu können, Verständnis für Gesprächspartner zu entwickeln und daraus Motivation für das Umfeld zu schaffen.
3. Methodische Kompetenz
Methodische Kompetenz, auch Methoden- oder Handlungskompetenz, umfasst universelle Problemlösungskompetenzen. Hierzu gehören Entscheidungsfindungstechniken, die auch die Bewältigung neuer Situationen sicher stellen. Methodische Kompetenz beinhaltet Planungskompetenz, Präsentationsfähigkeit und herausragende Fähigkeiten in Arbeitstechnik, Dokumentation, Projektplanung, Projektsteuerung, Interviews und Moderation.
4. Fachliche Kompetenz
Fachkompetenz, Sachkompetenz, Fachkenntnis oder Fachwissen definiert die Fähigkeit, berufstypische Aufgaben und Sachverhalte anforderungsgemäß selbständig und eigenverantwortlich zu bewältigen. Die hierzu erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse bestehen hauptsächlich aus Erfahrung, Verständnis fachspezifischer Fragen und Zusammenhänge sowie der Fähigkeit, Probleme technisch einwandfrei und zielgerichtet zu lösen. Voraussetzung ist in der Regel eine entsprechende fachspezifische Ausbildung.
Profiling als Schlüssel zum Erfolg
Potenzielle Führungskräfte zu erkennen und zu entwickeln, ist nach Expertenmeinung eine der sensibelsten Aufgaben der Personalentwicklung. Neben einer sehr guten Beobachtungsgabe, wobei der Beobachter selbst über die oben genannten Kompetenzen verfügen sollte, sind eignungsdiagnostische Methoden das Mittel der Wahl. Eine sichere Möglichkeit, eignungsdiagnostische Vorhersagekennwerte zu erhalten, ist das berufliche Profiling. Das berufliche Profiling ermöglicht die Überprüfung von Wissen (Fachkompetenz), Ressourcen (Finanzen, Technik, Zeit, Führung), kognitive Fähigkeiten (Können), berufliche Motivation (Wollen) und Verhaltensstärken (Potenziale).
Herausragende Personalentwicklung ist Managementaufgabe
Schriftlich nicht fixiert ist die Ausprägung der oben dargestellten Kompetenzen bei Dr. Michael Frenzel. Doch die Fähigkeit, einen in Deutschland einzigartigen Strategiewechsel einzuleiten und umzusetzen, und das mit Zustimmung aller beteiligten Stakeholder, lässt den Rückschluss auf eine starke Ausprägung der Kompetenzen und ein breites "Anhängerfeld" zu.
Die Besetzung von leitenden Positionen mit hoch kompetenten Angestellten ist maßgeblich für den Fortbestand des Unternehmens, denn in diesen Positionen werden in der Regel die wichtigen Entscheidungen getroffen. Gerade klein- und mittelständische Unternehmen mit Multifunktionsträgern sind aufgefordert, frühzeitig Persönlichkeiten im Rahmen der Nachfolgeregelung zu entwickeln.
Die teilweise heute noch übliche Praxis, Führungskräfte in erster Linie nach Fachwissen zu entwickeln und zu befördern, hat sich nicht bewährt. Dieses Vorgehen folgt dem Grundsatz, den besten Verkäufer zum Vertriebsleiter und den besten Ingenieur zum Produktionsleiter zu ernennen. Doch dabei wird die Fähigkeit vernachlässigt, mit Menschen umgehen zu können. Eine Führungsweisheit besagt: Spätestens nach fünf Jahren hat eine Führungskraft die Mitarbeiter, die sie verdient. Die Erkenntnisse aus der Unternehmenspraxis führen zur Notwendigkeit, eine systematische und an den Bedürfnissen des Unternehmens - nicht am Ego einzelner Personen - orientierte, transparente Führungskräfteentwicklung einzurichten.
Sicherlich ist Führungskräfteentwicklung ein Teilbereich der Personalentwicklung. Doch dies entbindet Unternehmensführer und Top-Manager nicht von der Verantwortung für die Gewährleistung einer herausragenden Personalentwicklung im eigenen Unternehmen. Vielmehr unterliegt die Entwicklung von Führungskräften der Verantwortung des Top-Managements und ist in der Regel nicht delegationsfähig.
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