"Konkrete Handlungsanleitungen aus der Zukunftswerkstatt"
04.10.2017
Unternehmen, Wirtschaft & Finanzen
(Ulm) - Der Umzug der Ulmer Gespräche der Ingenics AG (https://www.ingenics.de/) hat sich gelohnt. Im Congress Centrum Ulm genossen am 28. September 2017 rund 250 Gäste sowie zahlreiche Ingenics Mitarbeiter die hochkarätige Veranstaltung zum Thema "Arbeitsorganisation 4.0 - Digitalisierung als Wertschöpfungspotenzial" mit Vorträgen und Diskussionen, angeregten Unterhaltungen und einer erweiterten Partnerausstellung in einem entspannten Rahmen. Die Redebeiträge beleuchteten unterschiedlichste Aspekte der Zukunft der Produktionsarbeit.
Ingenics CEO Prof. Oliver Herkommer konnte die Bühne in der Gewissheit betreten, dass das neue Format der Ulmer Gespräche, die 2017 bereits ihre 17. Auflage erlebten, gut ankommen würde. Das Congress Centrum Ulm bot den 250 Entscheidern aus großen und kleinen Industrieunternehmen verschiedenster Branchen genügend Raum für Vorträge, Rahmenprogramm und intensiven Meinungsaustausch - untereinander und mit den zahlreich anwesenden Ingenics Mitarbeitern.
Es geht nicht darum, dass sich etwas verändern wird, sondern wie Unternehmen den Veränderungsprozess positiv managen
Im Interview mit Moderatorin Stefanie Anhalt (SWR 1) wurde zunächst der thematische Schwerpunkt - Industrie 4.0 und die Folgen für die Arbeitswelt - abgesteckt. Da sich Ingenics seit mehreren Jahren mit dem Thema Industrie 4.0 beschäftigt, das auch schon in den vergangenen drei Jahren die Agenda der Ulmer Gespräche bestimmt hatte, war es nur konsequent, nun die Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation in den Fokus zu stellen und Visionen für die Arbeit der Zukunft zu entwickeln. Prof. Herkommer konnte darauf verweisen, dass Ingenics in über 5.000 Projekten bei unterschiedlichsten Herausforderungen eine umfassende Expertise für die Generierung unternehmerischen Erfolgs erarbeitet hat und alle Voraussetzungen dafür erfüllt, zu dieser Art "Zukunftswerkstatt" einzuladen.
Dass er die Schwerpunkte auf Produktion, Logistik, Organisation und Digitalisierung legt, ist die logische Konsequenz aus den Geschäftsfeldern des Beratungsunternehmens. "Unser Know-how ist durchweg erfahrungsbasiert, was unsere Kunden aus der Automobil-, Luft- und Raumfahrt-, Chemischen und Pharmaindustrie, dem Maschinen- und Anlagenbau sowie aus Verwaltungen gleichermaßen schätzen", so Prof. Herkommer. "Unser übergeordnetes Ziel ist es jeweils, einen nachhaltigen Unternehmenserfolg sicherzustellen."
Bei allen Projekten gehe es über eine klare Analyse der Prozesse und Strukturen um die enge Einbindung aller handelnden und betroffenen Personen. "Bei Prozessänderungen, Changes, spielt der Mensch bei uns die zentrale Rolle, auch wenn es um Digitalisierung geht." Deshalb habe man auch bei der Beschäftigung mit der Arbeitsorganisation 4.0 von Anfang an konsequent auf wissenschaftliche Begleitung durch Institute der Fraunhofer Gesellschaft gesetzt, die sich mit diesen Themen beschäftigen. "Es geht nicht darum, zu sagen, dass sich hier etwas verändern wird, sondern darum, wie die Unternehmen den Veränderungsprozess erkennen, verstehen und für sich positiv managen können," so Prof. Herkommer. Leider sei bei den Verantwortlichen vieler Unternehmen die Problematik der sich verändernden Arbeitsorganisation durch das Fortschreiten der Digitalisierung noch nicht angekommen. "So werden Entwicklungen in Unternehmen und Organisationen antizipiert und wir geben konkrete Handlungsanleitungen, wie man sich auf diese Entwicklungen einstellen muss, um erfolgreicher zu werden."
Versöhnung von Mensch und Maschine
Als erster Referent sprach der Zukunftsforscher Dr. Daniel Dettling, Gründer und Geschäftsführer von re:publik, Institut für Zukunftspolitik in Frankfurt am Main und Wien über das "Ende der Arbeit". Seine nicht ganz überraschende These: Nicht die Arbeit endet, sondern die Form der Arbeit verändert sich. Und vor diesem Hintergrund muss sich u. a. die Berufsausbildung verändern. "Hierarchische Großorganisationen, in denen immer top-down entschieden wurde, werden sich wandeln müssen", so Dr. Dettling. Er empfiehlt zur Orientierung, sich mit dem Arbeiten bei Start-ups oder in "Co-Working Spaces" zu beschäftigen. "Große Unternehmen müssen disrupieren, also sich selbst radikal infrage stellen können, um neue Freiräume zu schaffen, jede erfolgreiche Organisation muss künftig klein und zugleich groß sein können."
Was z. B. künstliche Intelligenz betrifft, rät er zu Geduld: "Wir werden KI in vielen Varianten erleben, aber bis wir eine wirklich professionelle Intelligenz haben, dauert es noch. Vorläufig werden Roboter Menschen nicht überlegen sein, weil sie noch nicht zu Empathie, Schmerz und Emotionen fähig sind." Spätere Generationen von "Robotic Natives" würden aber voraussichtlich die "Versöhnung von Mensch und Maschine" erleben.
Arbeit 4.0 findet an variablen Orten zu variablen Zeiten in veränderlichen Arbeitsstrukturen statt. Experimentieren erlaubt!
Als zweiter Referent schlug Prof. Dr.-Ing. Sascha Stowasser, Arbeitswissenschaftler und Direktor des Düsseldorfer Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft ifaa, eines u. a. von den Arbeitgebern geförderten Think Tanks, vor, die Digitalisierung als einen von mehreren Faktoren zu betrachten, die den Wandel der Arbeitswelt treiben. Weitere Faktoren seien z. B. Strategieorientierung und Globalisierung.
So sieht Prof. Stowasser die Digitalisierung als "viele Jahre dauernde, nicht umkehrbare Weiterentwicklung gegenwärtiger Systeme und Geschäftsmodelle", wobei er keinen Anhaltspunkt für die Entstehung von Massenarbeitslosigkeit sieht. Der These "Fortschritt macht arbeitslos", wie sie in einer Spiegel-Titelgeschichte schon 1978 prognostiziert worden war, kann er nichts abgewinnen. Gerade durch die zunehmende Variantenvielfalt "wird der Mensch noch gebraucht", ist Prof. Stowasser überzeugt. Die Beispiele von hocheffizienten "kleinen digitalen Fabriken" (Local Motors, USA; Wittenstein, Stuttgart; adidas speedfactory, Ansbach) sind beeindruckend und zeigen, welche Bedeutung die Flexibilität als "zentrales Moment der Digitalisierung" hat. "Die Lösungen sind so unterschiedlich wie die Unternehmen selbst, wir müssen neue Führungsrollen entwickeln und dabei mehr führen als steuern, Beschäftigten mehr Kompetenzen zubilligen und akzeptieren, dass Arbeit 4.0 an variablen Orten zu variablen Zeiten in veränderlichen Arbeitsstrukturen stattfindet."
Deshalb sei Industrie 4.0 auch die konsequente Weiterentwicklung des Lean Managements; welchen Reifegrad man jeweils vorfinde, bestimme letztlich die Digitalisierungsfunktion. "Flexibles Arbeiten in der digitalen Arbeitswelt 4.0 benötigt eine Unternehmensstrategie, klare Strukturen, verbindliche Regeln, eine technisierte Infrastruktur, neue Kompetenzen für Führungskräfte und Beschäftigte, eine alles umfassende Unternehmenskultur", fasst Prof. Stowasser zusammen und fordert: "Experimentieren muss erlaubt sein, Schulen müssen sich radikal verändern, Industrie 4.0 ist vor allem Komplexitätsbewältigung, die Geschäftsmodelle müssen neu definiert werden."
Erst die Kombination von "Lean" und Digitalisierung führt zu mehr Operational Excellence
Womit sich Ingenics täglich beschäftigt, vermittelte der viel beachtete Vortrag von Dr. Jens Nitsche, Ingenics Partner und Leiter R + D, "Wie Arbeit 4.0 in der Praxis zum Erfolgsfaktor wird - MyCPS, Industrial Engineering und der Ingenics Ansatz der integralen Unternehmensentwicklung." Auch er ließ es sich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass die Digitalisierung, die Prozesse optimieren und effizienter gestalten soll, eine umfassende Lean-Strategie nicht ersetzen kann, sondern auf einer solchen aufsetzen muss: "Erst die Kombination führt sicher zu mehr Operational Excellence", stellte er klar. "Sie als Führungskraft treiben den Wandel, nur eine Technologie einzuführen ist nicht die Lösung, das nutzt nur, wenn ich das Ganze im Blick habe, wenn eine Strategie und das Bewusstsein für die Digitalisierung im Unternehmen vorhanden sind." Wenn Dr. Nitsche postuliert, der Mensch müsse im Fokus stehen, ist das Ausdruck der Überzeugung, dass die "Zukunft weder Zufall noch Schicksal ist, sondern von innovativen und veränderungsbereiten Menschen gestaltet" wird. Nicht alles was technisch machbar sei, müsse wirtschaftlich sinnvoll sein. Menschzentrierung in der Industrie 4.0 könne immer auch die Entscheidung für den Menschen und gegen einen möglichen Automatisierungsschritt bedeuten. "Das muss kein Widerspruch sein, in der Praxis steht die Wettbewerbsfähigkeit im Fokus."
Dr. Nitsches Erkenntnisse beruhen nicht zuletzt auf der Beteiligung am Förderprojekt "Migrationsunterstützung für die Umsetzung menschzentrierter Cyber-Physical Systems (MyCPS)" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), in dem er Ingenics vertritt. In diesem Rahmen wurden 383 Industrie-4.0-Anwendungsfälle ausgewertet, wobei der "Menschbezug" im Fokus stand. Effizienzsteigerung, Komplexitätsbewältigung und mehr Flexibilität seien nicht nur in der Produktionsarbeit, sondern auch in administrativen Bereichen anzuraten, so Dr. Nitsche. Interessant sei, dass selbst da, wo der Mensch bezüglich der Zielstellung nicht im Fokus stehe, der Nutzen von Industrie 4.0 nachweisbar sei. "Und zwar auch der Nutzen für den Menschen, z. B. im Zuge einer Verbesserung der OEE (Overall Equipment Effectiveness; Gesamtanlageneffektivität) und bei der Ergonomie", sagt Dr. Nitsche. "Aber ein Arbeitsplatzentfall kann stattfinden, auch wenn er vielleicht mittelfristig durch neue Jobs ausgeglichen wird." Die Technik treibe die Veränderungen auch in der Arbeitsorganisation oft schneller voran als erwartet. "Durch Verschiebung von Rollen und Inhalten entfallen Arbeitsplätze, während andere entstehen, mit diesem Thema müssen wir uns ehrlich auseinandersetzen."
Als Beispiele für signifikante Veränderungen der Arbeitsorganisation nannte Dr. Nitsche App-gesteuerte "Schicht-Doodles", mit deren Hilfe Mitarbeiter selbständig den Personaleinsatz organisieren, digitale Fertigungspapiere über iPad, den Einsatz von Produktionscockpits für das digitale Shopfloor Management auf der Basis von Echtzeitinformationen und selbststeuernde Systeme, z. B. in der Schwarmmontage. "Alle Beispiele zeigen, dass die Technik massiven Einfluss auf die Arbeitsgestaltung hat und aktiv gestaltet werden muss, um positiv zu wirken."
Das Anstoßen des Veränderungsprozesses ist Chefsache
Eine weitere Erkenntnis ist, dass die Digitalisierung nicht aus der Technik heraus zum Erfolg führen kann, sondern "ein Thema ist, das über die Führung massiv gesteuert werden muss." Das Anstoßen des konsequenten Veränderungsprozesses sei eindeutig Chefsache. Ebenso wichtig sei dann allerdings die Einbindung der Beteiligten, wobei die Elemente zur erfolgreichen Mitarbeiterpartizipation im Sinne des Ingenics Rollenmodells zu beachten seien. Im Sinnes des im Rahmen von MyCPS erarbeiteten Beteiligungsmodells müsse man sich klarmachen, welche Veränderung man anstoße und wie man die Mitarbeiter am Veränderungsprozess partizipieren lasse. Für die konkrete Bearbeitung stellte Dr. Nitsche ein Fünf-Säulen-Modell für die Realisierung von integrierten Mensch-Technologie-Projekten vor:
-"Strategy" für die Willensbildung im Top-Management und die Formulierung der Strategie (mit Quick Check Zukunftsfähigkeit)
-"Attractivity" zur Sicherstellung der Produkt- und Serviceattraktivität (mit Quick Check Product Attractivity)
-"Agility" zur Sicherstellung der Agilität bei Arbeitsteilung und Aufgabenerledigung (mit Quick Check Organization Agility)
-"Digitality" zur Digitalisierung der Arbeitsteilung und der Aufgabenerledigung (mit Quick Check Corporate Digitality)
-"Personality" zur Entwicklung der Persönlichkeit von Fach- und Führungskräften (mit Quick Check Leaders Personality).
"Arbeit 4.0 erfordert eine Neubewertung der Rollen über alle Funktionen", fasste Dr. Nitsche zusammen. "Wir müssen an erster Stelle das Thema Führung in den Blick nehmen, denn der Kopf geht der Bewegung voraus, setzt die Impulse und gestaltet die Rahmenbedingungen sowie die Kultur für die Veränderung. Deshalb sind Digitalisierung und Industrie 4.0 Chefsache. Die Einführung von Soft- und Hardware bringt uns nicht weiter, wenn wir nicht auf den Menschen eingehen; der Veränderungsbedarf und die erforderlichen Maßnahmen lassen sich aus einem strukturiertes Rollenmodell ableiten, die frühzeitige Einbindung von Mitarbeitern und Interessenvertretern sind unverzichtbar."
"Enabler der Digitalisierung" lädt zum Innovation Circle nach München ein
Nach dem mit viel Beifall bedachten Vortrag von Dr. Nitsche übernahm es Ingenics Vertriebsvorstand Andreas Hoberg, die Höhepunkte der Veranstaltung zusammenzufassen, den Beteiligten für inspirierende Vorträge und angeregte Gespräche zu danken. Mit der Conclusio "Ingenics versteht sich als Enabler der Digitalisierung, wir sehen in ihr deutlich mehr Chancen als Risiken, vor allen Dingen aber Notwendigkeiten, die vielen Unternehmen immer noch nicht klar sind" sowie den Erkenntnissen: "Lean wird nicht abgelöst, sondern in die neue digitale Welt überführt" und: "Flexibilität herzustellen, sicherzustellen und zu managen, auch in Bezug auf neue Arbeitsmodelle, ist jetzt eine zentrale Aufgabe" präsentierte sich Andreas Hoberg einmal mehr als Freund klarer Worte. Ehe er die Gäste ins abschließende "Get-together" entließ, versäumte er nicht, zur nächsten Ingenics Veranstaltung - im kleineren Format mit Workshop-Komponente - einzuladen: dem Innovation Circle am 9. November 2017 in München mit dem Psychologen und Inhaber des Lehrstuhls für Human Resources Management der Fakultät Wirtschaft an der Hochschule Furtwangen, Prof. Dr. Armin Trost.
In den Pausen sowie nach dem offiziellen Teil der Veranstaltung bot eine kleine Ausstellung den Besuchern Gelegenheit, sich über die Angebote wichtiger Ingenics Partner zu informieren. Vertreten waren: ACP IT (München u. a.), artiso Software (Blaustein), Bossard Fachseminare (Illerrieden u. a.), Conclurer Software (Heidenheim), Elabo Software (Crailsheim), immersight Virtual Showroom (Ulm), iTiZZiMO Datenbrillen für Augmented Reality (Würzburg), Loriot IT-Lösungen (Thalwil).
Bildquelle: Ingenics AG
Ulmer Gespräche Ingenics Congress Centrum Ulm Arbeitsorganisation Arbeitswirtschaft Industrie 4.0 Digitalisierung Oliver Herkommer Jens Nitsche Andreas Hoberg Daniel Dettling
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