"Medical Need" live am OP-Tisch erfahren
26.07.2016
Wissenschaft, Forschung & Technik
(Stuttgart/Tübingen) - Das Interuniversitäre Zentrum für Medizinische Technologien Stuttgart - Tübingen (IZST) und der Verein zur Förderung der Biotechnologie und Medizintechnik e. V. luden gemeinsam mit der BioRegio STERN Management GmbH (http://www.bioregio-stern.de)erstmalig zu dem Workshop "Einschnitte - Einblicke" ein. Die Veranstaltung mit dem Schwerpunktthema Beckenchirurgie brachte fächerübergreifend die Disziplinen Gynäkologie, Urologie sowie Unfall- und Allgemeinchirurgie an einen Tisch und bot Fachleuten aus der Medizintechnik Gelegenheit, direkt vor Ort den "Medical Need", also den medizinischen Bedarf, zu erfahren. Mit einer Live-OP-Übertragung sowie praktischen Übungen im OP der Klinischen Anatomie (http://www.klinischeanatomie-tuebingen.de) bot die Veranstaltung Anstöße für die Neu- und Weiterentwicklung von Instrumenten und Geräten. Aus Sicht aller Beteiligten war sie ein voller Erfolg und wird fortgesetzt.
Wie inspirierend die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Medizinern verschiedener Fachrichtungen und den Ingenieuren aus der Medizintechnik sein kann, führte der Workshop "Einschnitte - Einblicke" den etwa 80 Teilnehmern vor Ort sowie zahlreichen via Live-Stream zugeschalteten Ärzten und Studenten anschaulich vor. Leitende Oberärzte und ärztliche Direktoren diskutierten vor ihrem aufmerksamen Publikum die Operationen, die eine Etage tiefer im OP des Instituts für Klinische Anatomie und Zellanalytik stattfanden und live in den Hörsaal übertragen wurden. Wo sonst Studenten erste anatomische Kenntnisse erwerben und medizinisches Fachpersonal sich fortbildet, saßen an diesem Nachmittag die Entwicklungsleiter von Medizintechnikunternehmen aus der Region. Und die Mediziner hielten sich nicht lange mit anatomischen Erklärungen auf, sondern legten sofort den "Finger in die Wunde". Prof. Dr. Arnulf Stenzl, Ärztlicher Direktor der Urologie des Universitätsklinikums Tübingen und Direktor des IZST (https://www.medizin.uni-tuebingen.de/Forschung/Forschungsverbünde/IZST.html), Prof. Dr. Bernhard Hirt, Direktor des Instituts für Klinische Anatomie und Zellanalytik der Universität Tübingen, Prof. Dr. Alfred Königsrainer, Ärztlicher Direktor der Allgemeinen, Viszeral- und Transplantationschirurgie des Universitätsklinikums Tübingen, Prof. Dr. Christl Reisenauer, Leitende Oberärztin Urogynäkologie des Universitätsklinikums Tübingen und Prof. Dr. Ulrich Stöckle, Ärztlicher Direktor der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Tübingen zeigten anhand täglicher Routine-Eingriffe in der Beckenchirurgie, wo sie Verbesserungsbedarf bei Instrumenten und Technologien sehen. "Heute dürfen wir uns von den Entwicklern etwas wünschen", brachte es Prof. Reisenauer auf den Punkt.
Beispiel Laparoskopie: In der minimal-invasiven Chirurgie schaffen so genannte Trokare den Zugang zum Bauchraum. Durch die Öffnungen werden Endoskope bzw. Greif- und Schneidewerkzeuge eingeführt. Schnell wird den anwesenden Medizintechnikern klar, wo hier Verbesserungspotenzial besteht: Bei der Verwendung einer Ultraschallschere können Hitze und Rauchentwicklung die Sicht behindern, die eingeführte Kamera verschmiert und mit der eingeführten Zange kann das Gewebe zwar gegriffen, aber nicht gehalten werden. Ob kürzere Messer oder feineres Nahtmaterial - die erfahrenen Ärzte hatten eine lange Wunschliste vorbereitet und sich teilweise schon konkret Gedanken über die Weiterentwicklung gemacht: Zur Stabilisierung eines Beckenbruchs werden aktuell noch standardisierte Titan- oder Stahlplatten eingesetzt. Für die Zukunft wünschen sich die Chirurgen individuell geformte Platten - am besten im 3D-Druck innerhalb von 24 Stunden hergestellt -, die der Anatomie des Beckens exakt angepasst sind und daher optimal fixiert werden können. Auch wenn nicht endoskopisch, sondern offen operiert wird, ist die Beleuchtung und Visualisierung immer wieder ein Thema: Hier wünschen sich die Chirurgen Monitore, die sie nicht zwingen, vom Patienten weg zu schauen, sondern die direkt neben dem Operationsfeld angebracht sind. Sie waren sich einig, dass die Technik im Prinzip zur Verfügung steht - Stichwort: Daten-Brille -, aber noch besser in der Medizintechnik umgesetzt werden muss.
Es gab reichlich Gesprächsstoff, als die Medizintechniker und Mediziner vom Hörsaal selbst an die OP-Tische in der Anatomie wechseln durften, um dort mit den Chirurgen weiter zu diskutieren. Die Teilnehmer hatten vorab eine für sie interessante Fragestellung ausgewählt, um dann gezielt in kleinen Gruppen an den einzelnen OP-Tischen exklusive Einblicke zu den Themen Visualisierung und Beleuchtung, Miniaturisierung, Haptik-Feedback, Ergonomie, Dissektion, Ablation und Bergung, steriles Arbeiten sowie Osteosynthese zu erhalten. Thomas Schobert, Leiter Entwicklung bei der EPflex Feinwerktechnik GmbH aus Dettingen an der Erms, ließ sich beispielsweise von Dr. Bastian Amend, Oberarzt der Urologie, den Einsatz der von seiner Firma gefertigten Führungsdrähte am "Patienten" zeigen. Als OEM-Unternehmen hat er in der Regel nur Kontakt zum beauftragenden Medizintechnikunternehmen, nicht jedoch zum anwendenden Arzt. Als Dr. Amend ihm erklärte, wo er Verbesserungsbedarf sieht, reagierte er spontan: "Sagen Sie uns, wie es aussehen soll und wir bauen es." Auch Michael Neher, Manager Forschung und Entwicklung der BOWA-electronic GmbH aus Gomaringen, ist vom Konzept des Workshops begeistert: "Auf Messen geht es vor allem um den Vertrieb und das Marketing. Hier werden Problemstellungen ganz offen dargestellt." Er interessiert sich vor allem für die Herausforderungen durch Rauchentwicklung und Hitze bei Schneidewerkzeugen und verrät: "Wir haben da schon eine Idee."
Nicht nur diese beiden Unternehmensvertreter bestätigten den Anspruch der Veranstalter. "Wir sehen, dass die Unternehmen hier direkt den ,Medical Need" erfahren und dadurch Ideen zur Neu- und Weiterentwicklung von Instrumenten und Geräten erhalten", erklärt Dr. Klaus Eichenberg, Geschäftsführer der BioRegio STERN Management GmbH. "Einblicke - Einschnitte schafft exklusiven Wissensvorsprung und damit Wettbewerbsvorteile." Alle Beteiligten sind sich daher einig, dass der interdisziplinäre Workshop als Veranstaltungsreihe mit jeweils verschiedenen Fachbereichen unbedingt weiterentwickelt werden muss.
Bildquelle: Michael Latz/BioRegio STERN
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