Was hat der "Chiemgau-Impakt" mit dem Erdbeben von New Madrid und den Donnerlöchern bei Kienberg zu tun?
12.01.2012
Wissenschaft, Forschung & Technik
Seit Menschengedenken gibt es das Phänomen der Donnerlöcher, plötzliche Einbrüche des Bodens, in dem angeblich schon ganze Fuhrwerke verschwanden. Hunderte, vielleicht tausend mögen es sein, die sich im Lauf der Zeit mit einer Konzentration im Raum Kienberg nördlich vom Chiemsee aufgetan haben. Seit einigen Jahren werden neu entstandene Donnerlöcher von Heimatpflegern registriert und dokumentiert, aber rätselhaft ist es immer gewesen, was der Grund für die plötzlichen Einbrüche ist.
Vom Kienberger Bürgermeister H. Urbauer befragte Geologen äußerten vage Hinweise auf Zusammenhänge mit der Eiszeit, ohne aber allerdings den Vorgang beschreiben zu können. Und nun kamen zwei Sachen zusammen: Erneute plötzliche Donnerloch-Einbrüche bei Heretsham nahe Kienberg und die Idee bei den Geologen vom Chiemgau Impact Research Team (CIRT), dass da geologisch etwas ähnliches passiert sein müsse wie beim Erdbeben von New Madrid.
Mit großer Unterstützung der Gemeinde Kienberg und des betreffenden Landwirts wurde vom CIRT das in Angriff genommen, was Geologen auch sonst bei ungeklärten Dingen tun: nachschauen. Ein großer Bagger erzeugte Schürfe bis zu 7 m x 7 m groß und bis zu 4 m tief, Messungen und detailgenaue geophysikalische Abbildungen der geologischen Strukturen im Untergrund begleiteten die Grabungen - und dann war die Verblüffung enorm. Exakt alles stimmte, was zuvor vom CIRT vorausgesagt worden war: New Madrid bei Kienberg in Norden vom Chiemsee. Die Einbrüche der Donnerlöcher sind dabei eine Spätfolge eines ganz anderen Vorgangs, den die Wissenschaftler von schwersten Erdbeben kennen. Der gewaltige Schock der Erdbebenwellen führt in lockeren, wasserführenden Gesteinschichten zu einer regelrechten Verflüssigung des Materials, das sich unter dem hohen Druck der Erdbebenwellen zum Teil explosionsartig nach oben entladen kann. In riesigen Arealen von Missouri kennen die Geologen diese Auswirkungen der Erdbeben von 1811/1812, und nun zeigen die Aufgrabungen und geophysikalischen Messungen bei Kienberg ebenfalls die gewaltigen Bodenbewegungen von unten nach oben.
Mehrere 100 Kilogramm schwere Gesteinsblöcke aus Nagelfluh legen Bagger und Geologenhammer frei, die - fast unvorstellbar - bis zu einem Meter aus ihrem ursprünglichen Schichtverband heraus angehoben worden sein müssen. Und große Hohlräume werden in drei Metern Tiefe vom Bagger angeschnitten. Dort hat das Grundwasser das feinkörnig sandige Material im Laufe von hunderten und einigen tausend Jahren ausgespült, und irgendwann tragen die darüberliegenden Schichten nicht mehr, und das Donnerloch bricht ein.
Über diese Befunde haben Kord Ernstson, Werner Mayer, Andreas Neumair und Dirk Sudhaus vom CIRT einen wissenschaftlichen Artikel geschrieben, der nunmehr in der Zeitschrift Central European Journal of Geosciences unter dem Titel "The sinkhole enigma in the Alpine Foreland, Southeast Germany: Evidence of impact-induced rock liquefaction processes" erschienen ist. Die deutsche Übersetzung "Das Rätsel der Donnerlöcher im Alpenvorland, Südostdeutschland: Belege für impakt-verursachte Prozesse der Gesteinsverflüssigung" löst nun dieses Rätsel: der Chiemgau-Impakt. Kein schwerstes Erdbeben, das man für die eng beschränkte Fläche in der Region von Kienberg völlig ausschließen kann, sondern ein weiteres Phänomen des gewaltigen Meteoriteneinschlages. Und das ist - so die Autoren in dem Artikel - wiederum nicht so überraschend, da große Einschläge kosmischer Körper vieles mit schwersten Erdbeben gemeinsam haben, insbesondere die Ausbreitung energiereicher Wellen mit heftigsten schockartigen Auswirkungen im Untergrund.
Für den Chiemgau-Impakt werden dafür vor allem der Tüttensee-Krater und der im Chiemsee mit Sonar-Messungen nachgewiesene große Doppelkrater als Auslöser für den erdbebenähnlichen Schock genannt. Berechnungen allein für den Einschlag des Tüttensee-Kraters ergeben erdbebenäquivalente Richter-Stärken von etwa 7.
Noch etwas Besonderes haben die Untersuchungen des CIRT bei Kienberg ergeben, worüber jüngst ein Beitrag von Kord Ernstson und Andreas Neumair auf der renommierten Herbsttagung der American Geophysical Union (AGU) in San Francisco präsentiert wurde. Es geht um die geophysikalischen Messungen, die bei der Erforschung der Impakt-Donnerlöcher eingesetzt wurden. Mit einem ganz speziellen Verfahren der Geoelektrik gelingt es, die geologischen Strukturen eines sich entwickelnden Donnerlochs bereits in einer Frühphase vor dem endgültigen Einbruch sichtbar zu machen, was bei einer seit wenigen Jahren aktiven Bodeneinsenkung bei Kienberg demonstriert wurde. Die Autoren verweisen auf die Möglichkeit, bei Baugrunduntersuchungen in donnerloch-gefährdeten Arealen solche Messungen einzusetzen.
Verfolgen lassen sich die Arbeiten des CIRT weiterhin im Internet: http://www.chiemgau-impakt.de , wo auch die neuesten Veröffentlichungen angeklickt werden können.
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