Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften profitierten 2019 von Binnenkonjunktur: Umsatz steigt Nahwärme liegt im Trend
01.04.2020
Freizeit, Buntes & Vermischtes
(Mynewsdesk) Die 1.029 Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften im Freistaat mit ihren 601.074 Mitgliedern haben 2019 den Rückenwind durch die Binnenkonjunktur verspürt. Entsprechend verzeichnen die Genossenschaften in den meisten Branchen Umsatzzuwächse. Im vergangenen Jahr ist der Umsatz um 3,1 Prozent auf rund 13,1 Milliarden Euro gestiegen, 12,7 Milliarden Euro waren es im Jahr zuvor. Treiber der Umsatzentwicklung waren in erster Linie die gewerblichen Genossenschaften und die Handelsgenossenschaften. Der Umsatz stieg von 1,14 Milliarden Euro auf 1,21 Milliarden Euro (gewerbliche Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften) und von 4,7 Milliarden Euro auf knapp 5 Milliarden Euro (Handelsgenossenschaften). Das Ergebnis aller Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften legte um 5,4 Prozent von 261 Millionen Euro (2018) auf 275 Millionen Euro im vergangenen Jahr zu, teilte der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) am Mittwoch in München mit.
Im vergangenen Jahr gründeten sich 18 Genossenschaften neu. Im Jahr 2018 waren es 14. 2017 gab es 20 Neugründungen und im Jahr 2016 waren es 13. Einen Schwerpunkt im diesjährigen Gründungsgeschehen bildete Oberbayern, wo der GVB neun Neugründungen verzeichnete.
Energiegenossenschaften: Nahwärme liegt im Trend
Unter den 256 Energiegenossenschaften zeichnet sich ein Trend ab: In Bayern werden zunehmend Nahwärmegenossenschaften gegründet. Deren Zahl steigt kontinuierlich auf jetzt 82 an – im Jahr 2015 lag ihre Zahl noch bei 71. Unter den insgesamt 18 Genossenschaftsneugründungen 2019 waren fünf neue Nahwärmegenossenschaften, weitere fünf Initiativen sind zur Gründung 2020 auf den Verband zugekommen.
Die meisten Wärmegenossenschaften liegen in Nordschwaben sowie Franken. Innerhalb der Gruppe der Energiegenossenschaften stehen die Nahwärmegenossenschaften inzwischen auf dem zweiten Platz hinter Photovoltaik (102). „Nach Einschätzung des GVB dürfte sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren fortsetzen“, sagte GVB-Präsident Jürgen Gros. Ölheizungen haben keine Zukunft, das hat die Bundesregierung in ihrem Klimapaket beschlossen. Ab 1. Januar 2026 dürfen keine neuen Ölheizungen mehr eingebaut werden. Als Ersatz eignen sich Nahwärmekonzepte sehr gut.
Ein klassisches Einsatzgebiet für Nahwärme im Genossenschaftsmodell können Neubauviertel sein. „Denn diese Art der Wärmeversorgung bietet den Nutzern eine kostengünstige Alternative zu fossilen Energieträgern“, erklärte Gros. „Durch erhebliche Verbesserungen im Planungsprozess und technische Weiterentwicklungen ist es gelungen, die Attraktivität von Nahwärmenetzen zu steigern.“
Insgesamt verzeichneten die Energiegenossenschaften einen Umsatzrückgang um 10,9 Prozent auf 360 Millionen Euro (2018: 404 Millionen Euro). Deren Ergebnis legte indes um 21,6 Prozent von 23,2 Millionen Euro (2018) auf jetzt 28,1 Millionen Euro zu, wozu insbesondere erhebliche Steigerungen in der Sparte Wind beitrugen: Wegen deutlich höheren Windaufkommens stiegen die Umsätze der vier Windenergiegenossenschaften erheblich. Diese kletterten um 7,7 Prozent von 2,4 Millionen Euro (2018) auf 2,5 Millionen Euro – das Ergebnis stieg gar um 320 Prozent von 60.000 Euro auf 252.000 Euro.
Die 102 Photovoltaikgenossenschaften lieferten dagegen etwas weniger Strom, da die Zahl der Sonnenstunden im Jahr 2019 um etwa 120 Stunden geringer ausfiel als im Extremsonnenjahr 2018. Auf deren Umsatz wirkte sich dies mit einem Rückgang um 19,3 Prozent von 33 Millionen Euro auf 26,8 Millionen Euro aus. Das Ergebnis gab aber nur leicht um 2,6 Prozent von 6,6 Millionen Euro (2018) auf 6,5 Millionen Euro nach. Umsatz und Ergebnis der 21 Biogasgenossenschaften blieben konstant. Der Umsatz lag 2019 bei 19,6 Millionen Euro (minus 0,1 Prozent), das Ergebnis bei 1,7 Millionen Euro (plus 0,1 Prozent).
Insgesamt zeigt sich in dieser Entwicklung die hohe Wetterabhängigkeit erneuerbarer Energieträger. „Die Forschung im Bereich Stromspeicher und Sektorenkopplung (Power-to-X) sollte erheblich intensiviert werden, um regenerative Energiequellen attraktiver zu machen, den Anteil fossiler Energieträger zurückzufahren und die Abhängigkeit von Energieimporten reduzieren zu können“, forderte Gros.
Zudem sollte die Politik die Bürger stärker ins Boot holen. „Denn Akzeptanz lässt sich am besten durch eigene Beteiligung schaffen“, ergänzte der GVB-Präsident. Durch den Einsatz moderner Lösungen, wie Smart Meter und Smart Grid, ließe sich der vorhandene Strom optimal nutzen. „Damit könnte jeder Einzelne dazu beitragen, dass die Energiewende zum Erfolg wird“, sagte Gros. Auf diesem Gebiet bestehe aber noch Nachholbedarf.
Milchwirtschaft: Der kleinteiligen bayerischen Struktur Rechnung tragen
Die 141 Milchgenossenschaften steigerten ihren Umsatz um 2,3 Prozent. Während der Umsatz im Jahr 2018 noch bei 3,11 Milliarden Euro gelegen hatte, schlug er im vergangenen Jahr mit 3,18 Milliarden Euro zu Buche. Das Ergebnis stieg um 7,8 Prozent von 47,6 Millionen Euro (2018) auf 51,4 Millionen Euro. Der durchschnittliche Milchauszahlungspreis in Bayern lag 2019 mit 35,1 Cent pro Kilogramm Milch knapp unter Vorjahresniveau (36 Cent). Dieser liegt in Bayern um circa 1,3 Cent (vorläufige Schätzung) über dem Bundesdurchschnitt. Leicht rückläufig war die Milchmenge in Bayern – sie ging 2019 im Vergleich zu 2018 um 1,5 Prozent zurück.
Weiterhin hoch blieb der Anteil von Biomilch aus Milchgenossenschaften. Insgesamt stammt die Hälfte aller in Deutschland erzeugten Biomilch aus Bayern, ein Viertel der Gesamtmenge wiederum liefern bayerische Milchgenossenschaften. Grundsätzlich wächst die Nachfrage nach Bioprodukten, auch Biomilch, seit Jahren kontinuierlich. Politische Forderungen nach einem weiteren Ausbau im Bereich der Biomilch beurteilt der GVB jedoch zurückhaltend. Zum einem müsse der Markt dafür gegeben sein, zum anderen müsse auch der Preis stimmen. „Biomilch braucht Markt und Preis. Mit unreflektierten politischen Forderungen allein ist es nicht getan“, sagte Gros. Molkereien tun alles, um den wachsenden Markt bestmöglich zu erschließen, damit es für die Mitglieder und Lieferanten eine interessante Perspektive gibt.
In Bayern ist die Milchwirtschaft von kleinen, bäuerlichen Milchviehbetrieben geprägt. Der GVB drängt darauf, deren Position zu berücksichtigen und sich in politischen Programmen nicht einseitig auf die industrielle Landwirtschaft zu konzentrieren. Was dies bedeutet, zeigt sich beispielsweise in der Debatte um die Anbindehaltung von Milchkühen. Mit seinem Vorstoß zur Kombinationshaltung, die den Kühen mehr Bewegung einräumt, hat der GVB schon frühzeitig im Frühjahr 2017 den Weg zu einem Ausstieg aus der dauerhaften Anbindehaltung gewiesen und damit kleinen Betrieben und Verarbeitern eine Perspektive eröffnet. So wird auch anerkannt, wenn die Tiere über das Jahr als Kombination zur Stallhaltung phasenweise Tage mit Bewegung haben.
Der GVB begrüßt die Sektorenstrategie Milch mit ihrer grundlegenden Zielsetzung. Diese hatten der Deutsche Raiffeisenverband (DRV), der Milchindustrieverband (MIV), der Deutscher Bauernverband (DBV), der Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM), der Bundesverband Privatmolkereien (BPM) und die Interessensgemeinschaft Genossenschaftliche Milchwirtschaft (IGM) im Vorfeld der diesjährigen Grünen Woche im Januar in Berlin vorgestellt. Die Branche bereitet sich damit auf veränderte Konsumentengewohnheiten vor und will den Ruf des Lebensmittels Milch verbessern. Das soll über eine professionalisierte und bundesweit einheitliche Branchenkommunikation geschehen, die auch von der überwiegenden Mehrzahl der Beteiligten getragen sein muss. Allerdings muss auch hier der Vielfalt in der bayerischen Milchwirtschaft Rechnung getragen und die Übereinkunft von allen Marktakteuren geteilt werden. Klar sein muss zudem, dass das Setzen von Standards nicht einzelnen Akteuren wie dem Lebensmitteleinzelhandel überlassen bleiben darf, der selbst Interessen wie die Maximierung der eigenen Marge verfolgt. Steigende Kosten infolge höherer Qualitätsansprüche müssen sich im Preis widerspiegeln.
Im Zusammenhang mit der Debatte um faire Preise unterstützt der GVB die Unfair-Trading-Practices-Richtlinie der EU (UTP-Richtlinie), die bis zum kommenden Jahr in nationales Recht übernommen sein muss. Dieser Richtlinie zufolge dürfen die Akteure in der Wertschöpfungskette nicht einseitig benachteiligt werden. Unternehmen mit weniger als 350 Millionen Euro Umsatz sollen demnach vor unlauteren Praktiken vor allem von den großen Lebensmittelhandelskonzernen geschützt werden. Dazu ist vorgesehen, Listen mit verbotenen Praktiken einzuführen. Deren Wirkung bleibt abzuwarten, mögliche neue Verhandlungsspielräume sollten jedenfalls genutzt werden. Eine solche gesetzliche Regelung dürfe allerdings nicht zulasten kleinerer Einkaufsgenossenschaften gehen, warnt der GVB.
Ländliche Genossenschaften spüren Folgen des Klimawandels
Zu spüren bekommen die ländlichen Genossenschaften bereits die Folgen des Klimawandels. Insbesondere in den Jahren 2018 und 2019 litten weite Teile des Freistaats unter anhaltender Dürre. Die bayerische Staatsregierung hatte dazu ein Hilfspaket für die Landwirtschaft aufgelegt, das in erster Linie die Sicherstellung der Futterversorgung von Nutztieren zum Ziel hatte. Der Umsatz der ländlichen Genossenschaften stieg zwar um 1,5 Prozent auf 1,34 Milliarden Euro, nach 1,32 Milliarden Euro im Jahr davor. Das Ergebnis ging aber um 6,4 Prozent auf 20,4 Millionen Euro zurück, nach 21,8 Millionen Euro 2018. Vor allem der Norden des Freistaats litt unter anhaltender Trockenheit. Besonders betroffen hat das die Trocknungsgenossenschaften – neun der insgesamt 25 liegen in Nordbayern (drei in Mittelfranken, zwei in Oberfranken, vier in der Oberpfalz). Diese bekamen kaum noch Grüngut geliefert, denn das wurde sofort als Tierfutter gebraucht.
Einige Raiffeisen-Warengenossenschaften in den betroffenen Regionen spürten die Folgen der Trockenheit ebenfalls. So ging die Nachfrage nach Tierfutter zurück, weil in den Trockenregionen Tierbestände abgebaut wurden. Gut lief jedoch der Absatz von Baustoffen. Wegen des akuten Fachkräftemangels konnten die Raffeisen-Warengenossenschaften nicht noch stärker vom anhaltenden Immobilienboom profitieren. Insgesamt legte deren Umsatz um 2,4 Prozent von 1,18 Milliarden Euro (2018) auf 1,20 Milliarden Euro im vergangenen Jahr zu. Das Ergebnis der 94 Raiffeisen-Warengenossenschaften ging leicht um 0,6 Prozent von 11,8 Millionen Euro auf 11,7 Millionen Euro zurück.
Konjunktur stützt Handwerk, Handel und gewerbliche Genossenschaften
Das Handwerk profitierte 2019 von der ungebrochen starken Nachfrage. Die 45 Handwerksgenossenschaften steigerten ihren Umsatz um 1,4 Prozent auf 805 Millionen Euro (2018: 793 Millionen Euro). Das Ergebnis legte um 14,6 Prozent auf 34,8 Millionen Euro zu (2018: 30,4 Millionen Euro). Im Handwerk wirkt sich der Fachkräftemangel gleichfalls aus. Denn wenn Aufträge aus Mangel an qualifizierten Mitarbeitern nicht ausgeführt werden können, trifft das auch die Handwerksgenossenschaften.
144 gewerbliche Genossenschaften sind im GVB organisiert. Hierzu zählen Unternehmen aus den Bereichen Gesundheit, freie Berufsgruppen, Marketing und Tourismus, Verkehr, Kommunikation und IT, Soziales und Kultur, Gastronomie sowie Produktion. Diese konnten ihren Umsatz um 6,2 Prozent auf über 1,2 Milliarden Euro steigern, nach 1,14 Milliarden Euro im Jahr 2018. Das Ergebnis gab wuchs um 4,2 Prozent auf 93,1 Millionen Euro an (2018: 89,3 Millionen Euro).
Zum Umsatzplus insgesamt trugen auch die 48 Handelsgenossenschaften bei. Dazu zählen Dorfläden ebenso wie kleine und große Unternehmen aus den Bereichen Nahrungs- und Genussmittel sowie Arzneimittel. Diese konnten beim Umsatz um 5,1 Prozent auf fast 5 Milliarden Euro zulegen. 2018 hatten sie noch 4,7 Milliarden Euro umgesetzt. Das Ergebnis sank um 3,7 Prozent auf 35,9 Millionen Euro – 2018 waren es noch 37,3 Millionen Euro.
Corona-Krise: Unternehmen brauchen Planungssicherheit
Angesichts der Corona-Krise appelliert der GVB an die politisch Verantwortlichen, den Unternehmen eine Perspektive zu geben. „Die Betriebe müssen wissen, wie lange die derzeitigen erheblichen Einschränkungen bestehen bleiben“, forderte Gros. Fabriken haben geschlossen, Gaststätten, Hotels und Handwerksbetriebe wissen nicht, wie es weitergeht. „So eine Situation kann eine Volkswirtschaft nicht beliebig lange durchhalten“, mahnte der GVB-Präsident.
Er appellierte an die Politik: „Wir haben erlebt, wie schnell es gegangen ist, eine laufende Wirtschaft nahezu zum Erliegen zu bringen. Jetzt erwarten wir von den politisch Verantwortlichen, ein Szenario vorzulegen, wie die Wirtschaft wieder ins Laufen gebracht werden soll. Die Unternehmen benötigen dringend eine Perspektive, um liquiditätsmäßig und geschäftspolitisch planen zu können.“ Nicht nur die Unternehmen selbst, auch die Beschäftigen würden wissen wollen, wie es weiter geht.
Zwischen Ländern und Bund seien verzahnte Task-Force-Einheiten nötig, die sich strukturiert und abgestimmt mit den relevanten Fragestellungen beschäftigen, um bundeseinheitliche Lösungen zu erarbeiten. „Es wird ein Leben nach der Krise geben“, betonte Gros. Man solle jetzt damit beginnen, Szenarien zu erarbeiten, wie sich die Wirtschaft nach der Krise wieder hochfahren lasse: „Auch das gehört zum Krisenmanagement.“
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