Niederlassungsfreiheit Auslandsfirmen, BGH Urteil 13.03.2003 - USAG24, inc
03.05.2011
Handel & Dienstleistungen
Verkündet am: 13. März 2003, Fahrner, Justizangestellte als Urkundsbeamter - VII ZR 370/98
ZPO § 50; EG-Vertrag Art. 43, Art. 48
Eine Gesellschaft, die unter dem Schutz der im EG-Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit steht, ist
berechtigt, ihre vertraglichen Rechte in jedem Mitgliedsstaat geltend zu machen, wenn sie nach der
Rechtsordnung des Staates, in dem sie gegründet worden ist und in dem sie nach einer eventuellen
Verlegung ihres Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedsstaat weiterhin ihren satzungsmäßigen Sitz
hat, hinsichtlich des geltend gemachten Rechts rechtsfähig ist.
BGH, Urteil vom 13. März 2003 - VII ZR 370/98 - OLG Düsseldorf / LG Düsseldorf
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2003 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und die Richter Hausmann, Dr. Wiebel, Prof. Dr. Kniffka und
Bauner für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom
10. September 1998 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Entscheidung und Verhandlung, auch
über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche wegen behaupteter Mängel von Malerarbeiten
geltend. Die Klägerin ist eine seit 1990 im Handelsregister für A. und H. als "Besloten Vennootschap"
(BV) eingetragene Gesellschaft niederländischen Rechts. Sie beauftragte die Beklagte 1992 mit der
Sanierung eines Garagengebäudes und des dazu gehörigen Motels. Die Leistungen sind erbracht.
Die Klägerin behauptet Mängel der Malerarbeiten. Nach erfolgloser Mängelbeseitigungsaufforderung hat
sie mit der Klage 1.163.657,77 DM nebst Zinsen als Kostenaufwand für die Beseitigung der Mängel und
daraus entstandener Schäden verlangt. Hilfsweise hat sie beantragt festzustellen, daß in gewillkürter
Prozeßstandschaft ihr Mehrheitsgesellschafter in den Rechtsstreit eingetreten ist und die Beklagte zu
verurteilen, an diesen die Klagesumme zu zahlen.
Die Parteien streiten u.a. darüber, ob die Klägerin 1994/1995 ihren Verwaltungssitz in die Bundesrepublik
Deutschland verlegt hat und ob sie in diesem Fall rechts- und parteifähig ist. Das Landgericht hat die
Klage als unzulässig abgewiesen. Die Berufung ist erfolglos geblieben.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der
Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Klägerin sei nicht rechtsund damit auch nicht parteifähig.
Für die Frage der Rechtsfähigkeit einer juristischen Person sei deren Personalstatut entscheidend. Das
Personalstatut knüpfe nach deutschem internationalen Privatrecht an den tatsächlichen Sitz der
Hauptverwaltung an. Das gelte auch in den Fällen, in denen eine nach dem Recht des Gründungsstaates
gegründete Gesellschaft ihren Verwaltungssitz auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verlege.
Diese Anknüpfungsregel (Sitztheorie) werde durch die im EG-Vertrag geregelte Niederlassungsfreiheit
nicht verdrängt. Die Klägerin habe ihren Verwaltungssitz in die Bundesrepublik Deutschland verlegt.
1994/95 hätten ihre jetzigen, in D. wohnenden Gesellschafter alle Geschäftsanteile erworben. Von
diesem Zeitpunkt an sei die Verwaltung und Geschäftsführung der Gesellschaft faktisch von der
Bundesrepublik aus erfolgt. Die Hilfsanträge hätten keinen Erfolg. Sie seien abzuweisen, weil der
Prozeßstandschafter nur für eine rechts- und parteifähige Person auftreten könne.
II.
Der Senat hat das Verfahren ausgesetzt und eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs
gemäß Art. 234 Abs. 1a, Abs. 3 EG eingeholt. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 5.
November 2002 - Rs. C-208/00 (Überseering) (NJW 2002, 3614 = NZG 2002, 1164 = EuZW 2002, 754)
die vorgelegten Fragen wie folgt beschieden:
1. Es verstößt gegen die Artikel 43 EG und 48 EG, wenn einer Gesellschaft, die nach dem Recht des
Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsgemäßen Sitz hat, gegründet worden ist und
von der nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates angenommen wird, daß sie ihren tatsächlichen
Verwaltungssitz dorthin verlegt hat, in diesem Mitgliedstaat die Rechtsfähigkeit und damit die
Parteifähigkeit vor seinen nationalen Gerichten für das Geltendmachen von Ansprüchen aus einem
Vertrag mit einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft abgesprochen wird.
2. Macht eine Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats gegründet worden ist, in dessen
Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, in einem anderen Mitgliedstaat von ihrer
Niederlassungsfreiheit Gebrauch, so ist dieser andere Mitgliedstaat nach den Artikeln 43 EG und 48 EG
verpflichtet, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem
Recht ihres Gründungsstaats besitzt.
III.
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Klage ist zulässig. Die Klägerin ist
als niederländische Gesellschaft (BV) fähig, die durch den Generalübernehmervertrag mit der Beklagten
erworbenen Rechte vor den deutschen Gerichten geltend zu machen.
1. Nach der bisherigen Rechtsprechung zum deutschen internationalen Gesellschaftsrecht beurteilt sich
die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft nach dem Recht am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes.
Das gilt auch dann, wenn eine Gesellschaft in einem anderen Staat wirksam gegründet worden ist und
anschließend ihren Verwaltungssitz in die Bundesrepublik Deutschland verlegt. Daraus hat das
Berufungsgericht konsequent abgeleitet, daß eine wirksam gegründete und nach niederländischem Recht
fortbestehende BV nach Verlegung ihres Verwaltungssitzes in die Bundesrepublik Deutschland ihre
vertraglichen Rechte vor deutschen Gerichten nicht durchsetzen kann, solange sie sich nicht nach den
Regeln des deutschen Gesellschaftsrechts neu gegründet hat (vgl. Beschluß des Senats vom 30. März
2000 - VII ZR 370/98, m.w.N., EuZW 2000, 412 = IPRax 2000, 423 = NZG 2000, 926 = BauR 2000,
1222= ZfBR 2000, 404).
2. Dieses Ergebnis ist mit der in Art. 43 und 48 EG garantierten Niederlassungsfreiheit nicht vereinbar.
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, daß das Erfordernis, die Gesellschaft in der
Bundesrepublik Deutschland neu zu gründen, der Negierung der Niederlassungsfreiheit gleich kommt
(EuGH,aaO, Tz. 81). Es stellt eine mit den Art. 43 und 48 EG grundsätzlich nicht vereinbare
Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, wenn ein Mitgliedstaat sich u.a. deshalb weigert, die
Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründet worden
ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, anzuerkennen, weil die Gesellschaft im Anschluß an den
Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile durch in seinem Hoheitsgebiet wohnende eigene Staatsangehörige
ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in sein Hoheitsgebiet verlegt haben soll, mit der Folge, daß die
Gesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat nicht zu dem Zweck parteifähig ist, ihre Ansprüche aus einem
Vertrag geltend zu machen, es sei denn, daß sie sich nach dem Recht dieses Aufnahmestaats neu
gründet (EuGH, aaO, Tz.82).
3. Diese Auslegung der Art. 43 und 48 EG ist für den Senat bindend. Sie verpflichtet zu einer
Rechtsanwendung, die nicht zu der beanstandeten Beschränkung der Niederlassungsfreiheit führt
(Forsthoff, DB 2002, 2471, 2474).
a) Diese Rechtsanwendung läßt sich nicht damit erreichen, daß die Klägerin nach deutschem Recht nach
Verlegung des Verwaltungssitzes jedenfalls eine rechtsfähige Personengesellschaft und damit als solche
vor den deutschen Gerichten aktiv und passiv parteifähig ist (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2000 - II ZR
380/00, BGHZ 151, 204 = NJW 2002, 3539). Denn die Klägerin hat nicht als Personengesellschaft ihre
Rechte geltend gemacht und geklagt, sondern als niederländische BV. Sie hat damit von ihrer durch den
EG-Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit Gebrauch gemacht. Das zwingt dazu, die Rechtsfähigkeit
der Klägerin als niederländische BV zu achten (EuGH, aaO, Tz. 80, 95). Sie kann nicht auf ihre
Möglichkeiten als nach deutschem Recht anerkannte Personengesellschaft verwiesen werden, weil sie
damit in eine andere Gesellschaftsform mit besonderen Risiken, wie z.B. Haftungsrisiken, gedrängt wird.
Eine derartige Verweisung würde sich ebenfalls als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellen,
wie der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes unmißverständlich entnommen werden kann (vgl.
Forsthoff, DB 2002, 2471, 2476; Leible/Hofmann, RIW 2002, 925, 929; Zimmer, BB 2003, 1, 5; Lutter, BB
2003, 7, 9; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2238; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1142; Großerichter, DStR
2003, 1, 15; Wernicke, EuZW 2002, 758, 761; Buck, WuB II N. § 14 BGB 1.03).
b) Die Klägerin muß in die Lage versetzt werden, nach einer Verlegung ihres Verwaltungssitzes in die
Bundesrepublik Deutschland ihre vertraglichen Rechte als niederländische BV geltend machen zu
können. Das erfordert es, die Klägerin nach deutschem internationalen Gesellschaftsrecht hinsichtlich
ihrer Rechtsfähigkeit dem Recht des Staates zu unterstellen, in dem sie gegründet worden ist. Eine
Gesellschaft, die unter dem Schutz der im EG-Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit steht, ist
berechtigt, ihre vertraglichen Rechte in jedem Mitgliedstaat geltend zu machen, wenn sie nach der
Rechtsordnung des Staates, in dem sie gegründet worden ist und in dem sie nach einer Verlegung ihres
Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat weiterhin ihren satzungsmäßigen Sitz hat, hinsichtlich
des geltend gemachten Rechts rechtsfähig ist.
c) Die Parteifähigkeit der Klägerin beurteilt sich nach der lex fori, also nach deutschem Prozeßrecht.
Gemäß § 50 Abs. 1 ZPO ist eine Gesellschaft parteifähig, wenn sie rechtsfähig ist. Auch insoweit ist das
dargestellte Personalstatut maßgebend.
4. Im Rechtsstreit steht nicht in Zweifel, daß die Klägerin nach niederländischem Recht wirksam
gegründet ist, ihren satzungsmäßigen Sitz in den Niederlanden hat und dort rechtsfähig ist. Sie ist
deshalb auch befugt, ihre vertraglichen Rechte in der Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen
und gerichtlich durchzusetzen.
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