Navid Kermani mit Cicero Rednerpreis ausgezeichnet
26.10.2012
Kunst & Kultur
Bonn, 26. Oktober 2012 - Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani (44) wurde heute (Freitag) mit dem Cicero Rednerpreis 2012 der Verlag für die Deutsche Wirtschaft AG ausgezeichnet. Mit ihm werde ein Redner geehrt, "der Ciceros Ideal eines umfassend gebildeten, politisch, wissenschaftlich und literarisch gleichermaßen erfahrenen "Vir bonus" auf selten gewordene Weise verkörpert. Ein Rhetor, der sich engagiert und mutig für Toleranz in allen Lebensbereichen einsetzt und damit einer seit der Antike zentralen rhetorischen Tugend mit rednerischer Kraft fortwirkende Geltung zu sichern sucht", so die Jury.
Der Cicero Rednerpreis wird vom Verlag für die Deutsche Wirtschaft seit 1994 für herausragende rhetorische Leistungen gestiftet. Eine unabhängige Jury wählt den jährlichen Preisträger. Bei dem undotierten Preis handelt es sich um eine Bronzebüste des römischen Staatsmannes und Philosophen Marcus Tullius Cicero.
Streitbarer Vertreter der Redekultur
Verlagsvorstand Helmut Graf hob in seiner Begrüßungsrede hervor, dass sich Navid Kermani als Schriftsteller, Philosoph und Orientalist, Theaterwissenschaftler und Regisseur im Schreiben wie im Reden in die Politik und Gesellschaft einmische und für Toleranz streite. "Ich bin sicher, Cicero hätte seine Freude an Ihnen, denn Philosophie und Rhetorik betrachtete er quasi als zwei Seiten einer Medaille, verstand er als die Verbindung von Theorie und Praxis. Die in der Philosophie gefundenen Gedanken, so seine Idee, sollten durch den guten Redner ihre Wirkung im Staatsleben entfalten", so Graf. Das Ziel des Cicero-Rednerpreises sei es, die Wichtigkeit der Redekunst für eine Demokratie, die auf Dialogbereitschaft angewiesen ist, aufzuzeigen. Mit Navid Kermani habe die Jury einen streitbaren Vertreter dieser Redekunst gewählt.
Sprachliche Brillanz
Der Festredner Jens Jessen, Leiter Ressort Feuilleton der Wochenzeitung DIE ZEIT, betonte die Bedeutung des Cicero Preisträgers in der Gegenwartsliteratur: "Kermani, dieser Kenner Lessings, Hölderlins, Jean Pauls, hätte vielleicht Grund, mit Schmerz auf den Zustand der deutschen Gegenwartsliteratur zu blicken. Aber tatsächlich tut er selbst alles, um den Abfall von einstigem Niveau nicht allzu schmerzlich werden zu lassen. Seine Lessing-Rede in Hamburg hätte auch Lessing halten können, seine Wiener Brandrede wider die Asylpolitik der Europäischen Union auch Heine oder Börne, und damit ist nicht das humanitäre Engagement gemeint, das sich von selbst versteht, sondern die sprachliche Brillanz." Cicero mische in seinen Meisterreden Klarheit und Logik mit Abschweifungen und Pathos nach dem Rezept "argumentieren, unterhalten, überwältigen". Im Vergleich dazu "nutzt Kermani nur das seriöse Ingredienz: das Argument, und manchmal die Zuckerglasur: das Amüsante. Aber zum rhetorischen Donner, der das Haupt der Zuhörer beugt, fehlt ihm der autoritäre Gestus. Kermani nimmt seine Zuhörer immer ernst: als gleichberechtigt."
Unabhängigkeit im Denken
Gert Ueding, Rhetorik-Professor, ging in seiner Laudatio auf die Besonderheit der Reden Navid Kermanis ein. Diese würden eine perspektivische Vielfalt auszeichnen, die Probleme aus ganz verschiedenen Richtungen beleuchten, ohne dass sich der Verfasser selber aus dem kritischen Blick verliere. "Solche überlegene Unabhängigkeit im Denken und rhetorischen Handeln ist ohne weit gespanntes Wissen nicht zu erwerben, auch nicht ohne die Neugierde des Geistes, der an die eigenen Grenzen stößt, um sie zu überschreiten. Nur der weite Horizont verhindert Einseitigkeit, Engherzigkeit und Fanatismus, er ist die Bedingung der Toleranz", so Ueding. In die rhetorische Linie, die von den großen antiken Rednern bis in die Zukunft eines wirklich geeinten Europas reiche, gehöre der Preisträger an prominenter Stelle. "Das Schlusswort habe ich mir daher aus Ihrer Rede über "Die Grenzen Europas" ausgeliehen: "Man kann Europas Grenzen nicht ziehen, wie man die Grenzen eines Landes ziehen kann. Und kann sich zu Europa bekennen, weil es eine Lebensgemeinschaft ist, nicht der Name einer Religion oder einer Ethnie. Ich brauche dieses Europa, denn wo sonst könnte ich hin?" Lassen Sie mich ergänzen: wo sonst könnten wir alle hin?", so Ueding.
Bisherige Preisträger:
Den seit 1994 verliehenen Cicero Rednerpreis haben u. a. erhalten: Der SPD-Bundeskanzlerkandidat Peer Steinbrück, die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, der Journalist und Publizist Heribert Prantl, der Philosoph Peter Sloterdijk, Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker, der Schriftsteller Rolf Hochhuth, der deutsch-französische Politiker Daniel Cohn-Bendit, Hans-Olaf Henkel, Wendelin Wiedeking, Kurt Biedenkopf, Marcel Reich-Ranicki, Lothar Späth und Thomas Gottschalk.
Die Jury
Natja Denk, Inhaberin "denk tank Ghostwriting",
Prof. Dr. Eva Horn, Professur für Neue deutsche Literatur, Universität Wien;
Prof. Dr. Peter L. Oesterreich, Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau, Honorarprofessor Universität Ulm;
Prof. Dr. Gert Ueding, 1988-2008 Direktor des Seminars für Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen;
Prof. Dr. Katharina Gräfin von Schlieffen, Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, juristische Rhetorik und Rechtsphilosophie an der FernUniversität Hagen;
Betty Zucker, Expertin im Change und Knowledge Management.
Für die Redaktion:
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