Pressemitteilung von Roman Brendel

Überfällige Trendwende in der Rechtsprechung: Sozialgericht Nürnberg stoppt undurchsichtige Krankenkassenpraxis


Politik, Recht & Gesellschaft

Dass der Wettbewerb auch im Gesundheitswesen manch bizarre Blüten treibt, ist längst weitläufig bekannt. Dass sich das Bundeskartellamt nach einem Urteil des LSG Hessen für die Kontrolle von Krankenkassenfusionen nicht mehr für zuständig erachtet, mag man als
Politikum oder Gesetzeslücke sehen, ist aber zumindest ebenfalls publik geworden. Jedoch die wenigsten wissen - obwohl es ein Skandal ist, dass (einige) gesetzliche Krankenkassen im Verborgenen einen beispiellosen und von dubiosen Motiven getriebenen Ausleseprozess betreiben. So wird kleineren und regional erfahrenen Leistungserbringern schlichtweg der Abschluss von Verträgen gemäß § 127 SGB V verweigert. Diese bilden jedoch die Grundlage der Abrechnung mit den Krankenkassen für Sanitätshäuser und ambulante Arzneimittel- und Medizinprodukteversorger.

Die betroffenen Krankenkassen bilden hierbei in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht so etwas wie ein Oligopol. Einige Krankenkassen sind hierbei nach dem Motto "Nur die Masse schafft Klasse!" vorgegangen und haben lediglich angeblich bundesweit tätigen, aber jedenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht "großen" Versorgern den Abschluss günstiger Verträge gewährt. Kleineren Unternehmen mit langjähriger Erfahrung und fester Verwurzelung im regionalen Gesundheitswesen wurden hingegen solche Verträge entweder verweigert oder aber zu wesentlich schlechteren Bedingungen angeboten. Damit wurden einige wenige, zum Teil mit Venture Capital finanzierte, also von der Ethik des shareholdervalue "motivierte", Konzerne krass bevorzugt. Den Patienten der kleineren Versorger wurde in einigen Fällen sogar per Rundschreiben angekündigt, ihr bisheriger Versorger sei nicht mehr Vertragspartner
und sie würden nun statt dessen von einem "Premiumpartner" versorgt.

Während solche Geschäftspraktiken in anderen Branchen längst als unlauter erkannt und per einstweiliger Verfügung gestoppt worden wären, sind in der Gesundheitsbranche exklusiv die Sozialgerichte zuständig. Und die scheinen es zum einen mit dem Wettbewerbsrecht und zum anderen mit der Eilbedürftigkeit nicht so ernst zu nehmen. Es ist eine Vielzahl von Fällen bekannt, in denen der regionale Versorger auf eine Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, der in sogenannten "ordentlichen", also zivilrechtlichen, Gerichtsbarkeit im Stundentakt funktioniert, bis zu einem Jahr (!) warten mussten und dann auch noch abschlägig beschieden wurden. Dies mit der Begründung, die Krankenkassen hätten einen "Spielraum" in der Gestaltung ihrer Verträge.

Zwar haben inzwischen sowohl die Bundesaufsicht für Versicherungen als auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) Missbrauch bei der Vertragspraxis von
Krankenkassen gegenüber Leistungserbringern angeprangert und diese angemahnt, Leistungserbringer weder zu diskriminieren noch in ihrer Berufsausübungsfreiheit zu beschränken. Die Realität sieht aber anders aus. Der Auslese- und Konzentrationsprozess in der ambulanten Homecare-Versorgung dauert an. Dies wird unterstützt durch eine sozialgerichtliche Rechtsprechung, die gerade in den unteren Instanzen teilweise als abenteuerlicher Wildwuchs bezeichnet werden darf. Wenn es dann, nach Jahren, zur Überprüfung durch die höheren Instanzen kommt (dort sind in jüngster Zeit eine ganze Reihe von sehr deutlichen Urteilen gegen die rigorose Vergabepraxis der Krankenkassen ergangen), ist es meist zu spät: die Patienten sind verloren und den kleinen Versorgern damit die Existenzgrundlage entzogen worden.

Umso erfreulicher die Entscheidung des Sozialgerichts Nürnberg, die (nach immerhin nur zwei Monaten zwischen Antragseinreichung und Urteilsspruch) für das bundesweit versorgende, mittelständische Homecare-Unternehmen n:aip Deutschland GmbH eine einstweilige Verfügung gegen eine Krankenkasse erließ: der Mandant sei so zu behandeln, als sei er einem Vertrag zur bundesweiten Versorgung in verschiedenen Produktgruppen (enterale Ernährung, Stomatherapie etc.) wirksam beigetreten. Hierdurch wurde der Schutz des Unternehmens vor einem zwangsweisen Entzug seiner Patienten bestärkt. Dr. med. Udo Richter, Gründer und Geschäftsführer der n:aip Deutschland GmbH kommentierte nach der Hauptverhandlung: "Heute ist mein verloren gegangener Glaube in den Rechtsstaat Deutschland zumindest teilweise wieder hergestellt worden."
Sozialgericht Nürnberg n:aip Krankenkassen einstweilige Verfügung Versorgung Homecare Urteilsspruch

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