Künstliche Lebensverlängerung war rechtswidrig
21.12.2017
Vereine & Verbände
Wenn ein Arzt einen Patienten ohne medizinische Indikation über Jahre am Leben erhält, hat er Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz zu befürchten. Der 1. Senat des Ober-landesgerichts München entschied heute, dass dem Kläger als Alleinerben seines verstorbenen Vaters, der in den Jahren 2010 und 2011 mittels PEG-Sonde künstlich ernährt worden war, Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche gegen den behandelnden Hausarzt zustehen.
Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), die sich seit mehr als 37 Jahren für die Selbstbestimmung bis zum Lebensende einsetzt, begrüßt dieses Urteil. DGHS-Präsident Professor Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher: "Die Entscheidung für eine Haftungspflicht für eine medizinisch nicht indizierte Weiterbehandlung bei schwerem Leidenszustand ist ein wichtiges Signal. Sie dürfte Folgen für die Praxis haben." Es werde, so Birnbacher, in der öffentlichen Diskussion noch viel zu wenig hinterfragt, dass die Weiterbehandlung von schwer leidenden
Kranken ohne Besserungsaussichten um der reinen Lebenserhaltung willen häufig nicht nur immenses Geld kostet, sondern auch für die Patienten zu einer unzumutbaren Belastung wer-den kann. Der Primat der Autonomie und des Wohlbefindens des Patienten ist erst kürzlich in der Neufassung des "Genfer Gelöbnisses" betont worden.
Von 2006 bis zu seinem Tod im Jahr 2011 war der schwer demente Mann mit einer Magen-sonde ernährt und damit künstlich am Leben gehalten worden. Vor dem Landgericht Mün-chen I verklagte der Sohn des Verstorbenen dessen Arzt auf Schmerzensgeld sowie auf Ersatz von Behandlungskosten. Nach der Argumentation des Klägers habe die fortgesetzte künstli-che Ernährung das Leiden seines Vaters unnötig verlängert und sei jedenfalls im letzten Le-bensjahr nicht mehr medizinisch indiziert gewesen. Der Sohn hatte laut Rechtsanwalt Wolfgang Putz zu Lebzeiten des Vaters vergeblich zu erreichen versucht, dass die Behand-lung mit der Magensonde beendet wird. Nun verlangt er rund 100.000 Euro Schmerzensgeld und rund 52.600 Euro Behandlungskosten.
In erster Instanz hatte das Landgericht die Klage abgewiesen (Urt. v. 18.1.2017 - 9 O 5246/14), jedoch festgestellt, dass die Lebensverlängerung tatsächlich nicht mehr dem medi-zinischen Standard entsprach. Da weder eine Patientenverfügung vorlag noch der mutmaßli-che Wille des Vaters erforscht werden konnte, hatte der Arzt den Betreuer des Patienten zu konsultieren. Das Versäumnis des Arztes stellte aus Sicht des Gerichts einen Behandlungsfeh-ler dar. Die Klage des Sohnes scheiterte damals jedoch daran, dass er nicht habe nachweisen können, dass er oder der Betreuer die Absicht gehabt hätten, die Behandlung infolge einer ordnungsgemäßen ärztlichen Konsultation abzubrechen.
Der Fall geht möglicherweise in nächster und letzter Instanz an den Bundesgerichtshof.
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