Pressemitteilung von Bundesverband IT-Mittelstand e.V.

Mittelstand fordert Lösungsoption für das Nachfolgeproblem: Eine neue Rechtsform soll Abhilfe schaffen


Vereine & Verbände

Fast 600.000 Nachfolgen stehen laut KfW im Mittelstand an - doch es fehlt an Nachfolger:innen. Nur noch weniger als die Hälfte gelingt in der Familie. Eine neue Rechtsform für sogenanntes "gebundenes Vermögen" könnte Abhilfe schaffen. Dabei würden Anteile zum Nennwert weitergegeben - nicht notgedrungen an genetisch Verwandte, sondern innerhalb einer Art "Werte- und Fähigkeiten-Familie". Das Vorhaben steht im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien. Nun fordern 22 Wirtschaftsverbände des Landes, darunter der Bundesverband IT-Mittelstand e.V. (BITMi), in einem gemeinsamen Papier (https://stiftung-verantwortungseigentum.de/fileadmin/user_upload/gemeinsames_verbaendepapier_gmgv_230619.pdf) die baldige Einführung der Rechtsform und umreißen klare Eckpunkte.

Die Verbände, die insgesamt für mindestens 100.000 Mitglieder sprechen, begrüßen, dass die Bundesregierung das Thema angehen will. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien heißt es: "Fur Unternehmen mit gebundenem Vermogen wollen wir eine neue geeignete Rechtsgrundlage schaffen, die Steuersparkonstruktionen ausschließt." Das könne nur die Einführung einer Gesellschaft mit gebundenem Vermögen leisten, eine GmgV, so die Verbände. Die Herausforderung sei nur dann geschafft, "wenn eine unbürokratische, einfache Lösung, eine eigenständige Rechtsform etabliert wird, die von Unternehmern ohne große Beratung umgesetzt werden kann", heißt es in dem heute veröffentlichten Papier. Politiker:innen aller drei Ampel-Parteien reagierten am Morgen bei einer Pressekonferenz positiv auf die Forderung, Stimmen dazu folgen weiter unten.

Neue Lösungsoption für das drängende Nachfolge-Problem
Insbesondere für das drängende Nachfolge-Problem im deutschen Mittelstand verspricht eine eigenständige neue Rechtsform Abhilfe. Wie kürzlich u.a. die Tagesschau berichtete, stehen laut KfW aktuell 560.000 Nachfolgen an. Nur noch weniger als die Hälfte davon gelingt in der Familie, 190.000 drohen zu scheitern. Diesen droht laut KfW die Auflösung. Oftmals auch deshalb, weil ein Verkauf an den privaten Vermögensverhältnissen fähiger Nachfolger scheitert. Die GmgV böte Unternehmen die Möglichkeit, den Pool potenzieller Nachfolger erheblich zu erweitern und die Unternehmensnachfolge unabhängig von der genetischen Familie oder der individuellen Vermögenslage zu gestalten, indem Anteile zum Nennwert weitergegeben würden und nicht vererbbar wären. Schon vor zwei Jahren hatte eine repräsentative Allensbach-Umfrage ergeben, dass fast drei Viertel (72 %) der Familienunternehmen in Deutschland eine solche Rechtsform begrüßen würden.

Auch für nicht-Exit-orientierte Start-ups sowie Sozialunternehmen böte die GmgV mehr Gestaltungsfreiheit, Unternehmen unabhängig und wirtschaftlich nachhaltig aufzubauen, indem Gewinne rechtsverbindlich im Unternehmen verbleiben und seiner Entwicklung dienen.

Start-ups, Digitalwirtschaft, Mittelständler ziehen an einem Strang
Dass eine solche Rechtsform für Unternehmen unterschiedlichster Branchen und Größen relevant ist, zeigt die Diversität der Unterzeichnenden: vom Bundesverband für mittelständische Wirtschaft BVMW und den Verband deutscher Unternehmerinnen über deutschen Start-up-Verband, den Bundesverband IT-Mittelstand e.V. (BITMi) und das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland SEND bis hin zum Blockchain-Verband oder auch Landwirtschafts- und ersten IHK-Verbänden. Es wird erwartet, dass weitere Verbände sich anschließen.

Aus Sicht der Verbände ist der Bedarf an einer neuen Rechtsform vor allem in drei Unternehmensgruppen besonders hoch: im Mittelstand, bei nicht-Exit-orientierten Start-ups sowie in Sozialunternehmen.

Kernelemente einer "Gesellschaft mit gebundenem Vermögen"
Die Verbände umreißen vier Eckpunkte, die ihrer Meinung nach für eine neue Rechtsform unabdinglich sind: 1) eine "unabänderliche Vermögensbindung", 2) ein "aktives Gesellschafterverständnis" und die Weitergabe der Anteile zum Nennwert, 3) eine Offenheit für jedwede unternehmerischen Zielsetzungen und Zwecke sowie 4) die "bestmögliche Absicherung" der Vermögensbindung mithilfe eines Aufsichtsverbands.

Vor allem Vermögensbindung, Aufsichtsverband und die Weitergabe zum Nennwert machen die Einführung einer eigenständigen neuen Rechtsform erforderlich. Eine Eingliederung in bestehende Rechtsformen, beispielsweise im GmbH-Recht, würde dem Bedarf nicht ausreichend Rechnung tragen.

Kein Steuersparmodell
Zudem sei die Rechtsformsteuerrechtlich genauso zu behandeln wie alle anderen Rechtsformen und dürfe keinesfalls als Steuersparmodell missbraucht werden können. "Die GmgV würde den Kanon der Rechtsformen ergänzen, keine andere Rechtsform ersetzen oder schlechter stellen." Sie fungiere dann als eine wichtige Option zur Stärkung der Vielfalt, des Wettbewerbs und der Innovationskraft.

"Wir sehen in der im Koalitionsvertrag der Bundesregierung geplanten neuen Rechtsform, der Gesellschaft mit gebundenem Vermögen (GmgV), eine große Chance für die Soziale Marktwirtschaft, für die Stärkung unabhängiger Unternehmen und damit für den Wirtschaftsstandort Deutschland", heißt es in dem Papier

Statements der Verbände: Wir brauchen die Rechtsform!
Die Verbände betonen aus ihren jeweiligen Perspektiven, warum die neue Rechtsform wichtig für sie ist.

Dr. Oliver Grün, Präsident des Bundesverband IT-Mittelstand e.V. (BITMi): "Die neue Rechtsform der Gesellschaft mit gebundenem Vermögen ist dringend notwendig, um kleinen und mittelständischen Unternehmen mit ihrer Innovationskraft und Expertise eine weitere Option einer Nachfolgeregelung zu geben und sie in Deutschland zu halten. In Hinblick auf unsere mittelständig geprägte Digitalwirtschaft ist die Einführung der neuen Rechtsform also auch ein wichtiger Faktor für unsere digitale Souveränität. Denn nur mit fest im Markt verankerten IT-Unternehmen mit gesicherter Nachfolge können wir die Digitalisierung selbstbestimmt mitgestallten."

Markus Jerger, Vorsitzender der Geschäftsführung des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW): "Der Wirtschaftsstandort Deutschland muss für den Mittelstand attraktiv bleiben, denn dieser ist das Rückgrat und der Ausbildungsgarant der Wirtschaft. Dafür müssen wir das drängende Nachfolgeproblem angehen. Eine neue Rechtsform, die Anteile zum Nennbetrag festsetzt und Betrieben erlaubt, die Nachfolgefrage auch außerhalb der Familie einfacher zu regeln, ohne dass geeignete Kandidaten und Betriebe sich tief verschulden müssen, ist da eine sehr gute Option. Der Mittelstand braucht diese Rechtsform dringend, denn gerade der Mittelstand braucht eine tragfähige Zukunft auch für die Nachfolger von Unternehmen."

Jasmin Arbabian-Vogel, Präsidentin des Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU): "Die Nachfolgefrage drängt! Da ist es die oberste Pflicht der deutschen Wirtschaftspolitik, weitere Optionen für den Erhalt von selbstständigen Unternehmen im Mittelstand zu schaffen. Zudem böte die neue Rechtsform eine Riesenchance für unternehmerische tätige Frauen, die heute noch immer schwerer an Finanzierungskapital kommen. Sie könnten unabhängig von ihrer Finanzkraft Nachfolgerinnen werden. Das wäre ein großer Gewinn für den Mittelstand."

Marlene Marz, Vorständin des Blockchain Bundesverband: "Die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen würde den Krypto-Standort Deutschland stärken! Denn gerade in dieser Zukunftsbranche der digitalen Infrastruktur braucht es Organisationsformen, die erlauben, dass das Vermögen gebunden ist und Protokolle oder Daten gemeinschaftlich verwaltet werden."

Armin Steuernagel, geschäftsführender Vorstand der Stiftung Verantwortungseigentum: "Die breite Allianz von Verbänden zeigt, die geforderte neue Rechtsform trifft auf einen großen Bedarf - vom Mittelstand, über die Start-up-Branche und digitale Wirtschaft bis hin zur Landwirtschaft. Wir freuen uns, aus dem Justizministerium zu vernehmen, dass es mit der Rechtsform vorangeht. Das Positionspapier gibt dem Gesetzgeber wichtige Eckpunkte mit auf den Weg, die das Ergebnis der intensiven öffentlichen Expertendiskussion während der letzten drei Jahre sind. Ganz zentral: Es braucht eine eigenständige neue Rechtsform und eine Vermögensbindung, die rückwirkend nicht änderbar ist."

Dr. Till Wagner, geschäftsführender Vorstand der Stiftung Verantwortungseigentum: "Großbritannien, Dänemark und Schweden zeigen, dass einfach zugängliche Rechtsformen mit einer unabänderlichen Vermögensbindung tausendfach genutzt werden. Es zeigt sich auch, dass einer europarechtskonformen Ausgestaltung nichts im Wege steht. Die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen erweitert die Optionen im Kanon der Rechtsformen und damit die unternehmerische Freiheit. Sie trägt dazu bei, unsere Soziale Marktwirtschaft mit einem breiten und vielfältigen Mittelstand langfristig zu stärken."

Tina Andres, Vorsitzende Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW): "Die von Investoren getriebenen steigenden Landpreise machen Hofnachfolgen immer schwerer zu finanzieren - Nachfolger können sich den Hof oft nicht leisten. Eine Rechtsform mit gebundenem Vermögen wäre eine sehr gute Möglichkeit, den Hof und das Land der Spekulation zu entziehen, Nachfolgern ohne Finanzkraft den Einstieg zu ermöglichen und dieser Tendenzen etwas entgegenzusetzen."

Positive Reaktion von Ampel-Politiker:innen bei Pressekonferenz

Am Morgen reagierten bei einer Pressekonferenz zum Thema Politiker:innen von SPD, Grünen und FDP auf den Vorstoß: Verena Hubertz, stellvertretende Fraktionschefin der SPD und als solche zuständig für Wirtschaftsthemen, Katharina Beck, finanzpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion sowie Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.

Verena Hubertz, SPD, stellv. Fraktionsvorsitzende: "Es ist eine richtig, richtig gute Sache, wir brauchen es, wir sind als Ampelkoalition auch damit im Koalitionsvertrag gestartet. Es kam Krieg, es kamen Krisen, nicht alles geht dann so schnell, wie man sich das vielleicht auch manchmal wünscht, aber wir sind vollends dahinterstehend als SPD-Fraktion, als Ampel, dass wir da auch was gemeinsam umsetzen und ich (...) bin natürlich Unterstützerin in der Sache aus tiefster Überzeugung."

Otto Fricke, FDP, haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion: "Als Liberaler sagst du natürlich: im Zweifel Rechtsformfreiheit. Das ist für mich auch das, was unser Wirtschaftssystem ausmacht. Und jede Zeit braucht ihre Rechtsform. Und wir müssen einfach auch anerkennen (...), dass in einem digitalen Zeitalter die alte Idee dessen, wie man Unternehmen führt, durch eine neue ergänzt werden muss. Wir müssen auch erkennen, dass es eben manchmal besser ist, wenn der Gewinn nicht aus dem Unternehmen genommen wird, sondern gerade in dieser Zeit im Unternehmen bleibt. Das mag bei unterschiedlichen Geschäftsideen unterschiedlich sein, aber ich glaube, dass diese zusätzliche Rechtsform etwas ist, was der Markt braucht." Weiter: "Und dann muss der Staat nach meiner Meinung eine Möglichkeit geben, das ist der zweite Teil der Freiheit, wie ich es schaffe, dass das, was an intellektuellem Wert, aber auch an Sachwert, aber mehr an intellektuellem Wert in einem Unternehmen geschaffen worden ist, weitergegeben werden kann."

Fricke sagte zudem, auch er sei zu der Ansicht gekommen, dass die Rechtsform eine eigenständige sein müsse. Man müsse das Konzept "sozusagen in eine eigene Rechtsfamilie bringen, gerne mit gewissen Verweisen für bestimmte Teile - auf die Frage wo passt GmbH, wo passt Genossenschaft, wo passt Stiftungsrecht. Aber wenn wir das nicht machen, wird es halt schwierig, weil dann kommt jeder damit, dass er versucht, diese Rechtsform irgendwo in einen Rahmen reinzupressen, wo sie nach meiner Meinung und nach dem, was ich jetzt sehe, nicht hineingehört."

Katharina Beck, finanzpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion: "Ich bin einfach dafür, dass es einen fairen Wettbewerb auch unterschiedlicher Rechtsformen gibt. Und da ist eben die Rechtsform mit gebundenem Vermögen, wenn sie denn wirklich hundertprozentig sicher einen Asset Lock hat, sehr gut. Und darauf möchte ich auch die Zielsetzung dieser Rechtsform wirklich beschränken und sie nicht noch mit irgendwelchen ökosozialen Labels überfrachten. Es soll einfach eine Rechtssicherheit sein im Bezug auf die Vermögensbindung."

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