Interview mit Prof. Dr. Benjamin von Bodungen
18.02.2016
Wissenschaft, Forschung & Technik
Autonomes Fahren ist in aller Munde. Experten gehen davon aus, dass die fortschreitende Fahrzeugautomatisierung einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr leisten wird. Allerdings sind die juristischen Voraussetzungen für die vollständige und dauerhafte Einführung autonomer Fahrsysteme noch nicht gegeben. Benjamin von Bodungen (http://www.ggs.de), Professor für deutsches und internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Finanz- und Steuerrecht an der German Graduate School of Management and Law (GGS), äußert sich im Interview zu den rechtlichen Stolpersteinen.
Automobilmanager bemängeln, dass fehlende gesetzliche Regelungen die höchste Hürde für automatisiertes Fahren darstellen. Ist das so?
Bei Herstellern und Zulieferern ist derzeit ein harter Wettbewerb um die Innovationsführerschaft im Gange. Es ist wahrscheinlich, dass Unternehmen wie Tesla noch vor 2020 einen "echten" Autobahnpiloten präsentieren. Nach geltender Rechtslage muss allerdings der menschliche Fahrer sein Fahrzeug zu jedem Zeitpunkt beherrschen. Das steht der Einführung von Fahrsystemen höheren Automatisierungsgrades entgegen. Daher arbeiten derzeit Juristen, Politiker und Vertreter der Automobilindustrie gemeinsam an rechtlichen Lösungen für die vielfältigen Probleme, die sich etwa im Bereich der Zulassung, der Haftung und des Datenschutzes ergeben.
Welche rechtlichen Voraussetzungen gelten aktuell in Deutschland? Warum ist eine internationale Lösung so wichtig?
Das deutsche Straßenverkehrsrecht beruht zu weiten Teilen auf einem völkerrechtlichen Vertrag, dem Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr aus dem Jahre 1968. Dieses fordert unter anderem die permanente Beherrschung des Fahrzeugs durch seinen Fahrer, was momentan die Einführung höherer Entwicklungsstufen des automatisierten Fahrens ausschließt. Eine erste Änderung des Wiener Übereinkommens wird jedoch bereits im März in Kraft treten, ohne freilich sämtliche Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. Deswegen diskutieren die am Wiener Übereinkommen beteiligten Staaten weitere Anpassungen des Vertragstextes. Bei einem nationalen Alleingang bestünde die Gefahr, dass automatisierte Fahrsysteme an der Landesgrenze ausgeschaltet werden müssten oder entsprechend ausgerüstete Fahrzeuge im Ausland überhaupt nicht fahren dürften. Das sollte unbedingt vermieden werden.
Welche gesetzlichen Regelungen müssen gelten, damit ich beim autonomen Fahren die Hände vom Lenkrad nehmen und eine E-Mail schreiben darf, ohne einen Regelverstoß zu begehen?
Dafür muss insbesondere die Frage nach der Verantwortung für automatisierte Fahrsysteme geklärt sein. Deren Nutzen liegt ja gerade darin, den Fahrer zu entlasten und ihm die Ausübung anderer Tätigkeiten zu ermöglichen. Auf der Stufe des autonomen Fahrens wird der Mensch nur noch das Fahrtziel vorgeben und gar keine konkreten Fahrentscheidungen mehr treffen. Es wäre insofern widersprüchlich, den Nutzer eines autonomen Systems für einen Unfall nach Straßenverkehrshaftungsrecht oder gar Strafrecht zur Verantwortung zu ziehen, obwohl allein das System unfallursächlich ist. In einem solchen Fall kommt vielmehr wie bisher der Halter bzw. dessen Haftpflichtversicherung als Haftungsadressat in Betracht. Daneben wird in der Rechtsliteratur diskutiert, ob die Verantwortlichkeit des Fahrzeugherstellers nach Produkthaftungsrecht zu überdenken ist. Es wird argumentiert, dass ein automatisiertes Fahrzeug im Vergleich zu herkömmlichen Fahrzeugen ein erheblich komplexeres Produkt sei und dessen Verkehrsverhalten maßgeblich in den Händen des Herstellers liege.
Gibt es heute schon Grenzfälle, etwa beim automatischen Einparkassistenten, bei denen die Rechtslage nicht eindeutig ist?
Ein aktuelles Beispiel aus der Praxis zeigt, dass sich die fehlerhafte Einleitung des Bremsvorgangs durch den Notbremsassistenten als unfallursächlich erweisen kann. Obwohl der Notbremsassistent ohne Zutun des Fahrers anspricht, trägt dieser nach geltendem Recht während der gesamten Fahrt die Verantwortung. Bereits hier drängt sich die Frage nach der Abgrenzung der Verantwortung von Mensch und Maschine auf. Diese Frage wird sich in Zukunft mit aller Schärfe stellen, wenn Autopilotsysteme zum Einsatz kommen und im Nachhinein, etwa unter Zuhilfenahme von Fahrzeugdatenspeichern, geklärt werden muss, ob der Fahrer oder das Fahrsystem den Unfall verursacht hat.
In Gefahrensituationen stößt autonomes Fahren an ethische Grenzen, außerdem kann es zu Konflikten mit moderner Verkehrsleittechnik kommen. Wer darf wann welche Entscheidungen treffen? Der Fahrer, das Auto oder das Verkehrssystem?
Bezogen auf die ethischen Grenzen des autonomen Fahrens steht die Frage im Raum, ob ein Fahrzeugsystem in außergewöhnlichen Unfallszenarien die Entscheidung über Leben und Tod treffen darf. Etwa, wenn ein dem System mögliches Ausweichmanöver zwar den Zusammenprall mit einem anderen Fahrzeug verhindern, zugleich aber einen am Straßenrand stehenden Unbeteiligten in Mitleidenschaft ziehen würde. Wie eine solche Dilemmasituation aufzulösen ist, bedarf noch eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses. Als Orientierung kann dabei dienen, dass der Gesetzgeber schon vor über 100 Jahren zu Beginn des automobilen Zeitalters den ersten Fahrzeugverkehr erlaubt hat, obwohl schnell klar war, dass Fahrzeuge insbesondere für Fußgänger eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben bedeuteten. Der Gesetzgeber wird Chancen und Risiken der Innovation abstrakt gegeneinander abwägen müssen. Ebenso stellt sich die Frage, ob und inwieweit ein staatliches oder privatisiertes Verkehrsleitsystem dem Fahrzeugnutzer bestimmte Verkehrsvorgaben, beispielsweise die Einhaltung einer angemessenen Geschwindigkeit, unüberwindbar vorgeben darf. Auch insoweit besteht erheblicher Klärungsbedarf. Um Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer zu schützen, mag dies durchaus sinnvoll sein. Gleichwohl ist zu erwarten, dass eine Vielzahl der Hersteller und potenziellen Kunden einem derartigen - derzeit rechtlich ausgeschlossenen - staatlichen Eingriff kritisch gegenüberstehen.
Zur Person:
Benjamin von Bodungen ist Professor für deutsches und internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Finanz- und Steuerrecht an der German Graduate School of Management and Law in Heilbronn. Der gebürtige Bremer ist Experte für Finanzierungsthemen, insbesondere im grenzüberschreitenden Kontext. Zudem gehören das Transport-, Verkehrs- und Logistikrecht zu seinen Themenschwerpunkten. Aktuell beschäftigt er sich im Rahmen eines Forschungsprojekts mit den juristischen Fragen des autonomen Fahrens. Zugleich ist Benjamin von Bodungen als Of Counsel der internationalen Anwaltssozietät Bird & Bird LLP in Frankfurt am Main tätig und gehört dem Vorstand der von UNIDROIT initiierten Rail Working Group (RWG) an.
http://www.ggs.de
German Graduate School of Management and Law
Bildungscampus 2 74076 Heilbronn
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