Wirrwarr über Flugsaurier. Zahl der aus Deutschland bekannten Gattungen und Arten ist umstritten
14.04.2023
Wissenschaft, Forschung & Technik
Wiesbaden – Aus Deutschland sind bisher vielleicht 18 Gattungen von lang- und kurzschwänzigen Flugsauriern nachgewiesen. Die meisten davon – möglicherweise 15 – stammen aus dem Oberjura vor etwa 150 Millionen Jahren. Ihre Reste wurden vor allem in Bayern und seltener in Württemberg gefunden. Der größte Kurzschwanz-Flugsaurier aus Bayern erreichte damals eine Flügelspannweite bis zu 2,50 Metern. Wie die Zahl der Flugsaurier-Gattungen ist auch jene der aus Deutschland bekannten Flugsaurier-Arten umstritten. Es könnten maximal 25, aber auch nur 16 oder etwas mehr Arten sein.
Nachzulesen ist dieser Wirrwarr in dem 567 Seiten umfassenden, reich bebilderten Taschenbuch „Flugsaurier in Deutschland“, das nur bei „Amazon“ im Internet erhältlich ist. Es gibt auch eine 549 Seiten umfassende Version mit festem Einband. Verfasser ist der Wiesbadener Wissenschaftsautor Ernst Probst, der zahlreiche Bücher, Taschenbücher, Broschüren und E-Books über Themen aus den Bereichen Paläontologie, Archäologie und Geschichte veröffentlicht hat. Von ihm stammt auch das Taschenbuch „Raubdinosaurier in Bayern“, das sich mit Urvögeln befasst.
Aus der Zeit vor mehr als 220 bis zu 201 Millionen Jahren, die in die Obertrias fällt, gelang bisher in Deutschland kein einziger Flugsaurier-Fund. In diesem Abschnitt erschienen in Oberitalien, der Schweiz (Graubünden), Österreich (Tirol), Grönland, in den USA (Utah) und in Argentinien 14 Gattungen langschwänziger Flugsaurier.
Drei der frühen Flugsaurier aus der Obertrias wurden von deutschen Wissenschaftlern untersucht, beschrieben und benannt. Der Stuttgarter Wirbeltier-Paläontologe Rupert Wild gab 1978 Peteinosaurus und 1983 Preondactylus aus Oberitalien einen wissenschaftlichen Namen. Die heute in Berlin arbeitenden Paläontologen Nadja Fröbisch und Jörg Fröbisch benannten 2006 den Langschwanz-Flugsaurier Caviramus aus der Schweiz (Graubünden).
Die Ehre, einen frühen Flugsaurier aus der Obertrias entdeckt zu haben, gebührt ebenfalls drei deutschen Forschern. Nadja Fröbisch fand 2001 Caviramus in der Schweiz, der Münchner Geologe Bernd Lammerer 1994 Austriadraco (Österreichischere Drache) in Tirol und der Göttinger Paläontologe und Geobiologe Joachim Reitner 1969 Austriadactylus (Österreich-Fnger) in Tirol.
Als die ältesten Flugsaurier Deutschlands gelten ungefähr 180 Millionen Jahre alte Funde aus Bayern (Banz bei Staffelstein, Creez und Mistelgau bei Bayreuth) sowie aus Württemberg (Boll und Holzmaden). Es handelt sich um die Gattungen Dorygnathus (Lanzen-Kiefer) und Campylognathoides (Krumm-Kiefer).
Ein wahres Paradies für Flugsaurier und Urvögel wie Archaeopteryx (Alter Flügel) war der Solnhofener Archipel (Solnhofen-Archipel) in Bayern im Oberjura vor etwa 150 Millionen Jahren. Auf dieser Insel-Gruppe im Meer kamen altertümliche Langschwanz-Flugsaurier und fortschrittlichere Kurzschwanz-Flugsaurier zusammen vor.
Die Gattung, von der im Solnhofener Archipel die meisten Flugsaurier geborgen wurden, heißt Rhamphorhynchus (Schnabel-Schnauze). Jener Gattung hat man zeitweise fünf Arten zugeschrieben: Rhamphorhynchus muensteri, Rhamphorhynchus intermedius, Rhamphorhynchus longicaudus, Rhamphorhynchus gemmingi und Rhamphorhynchus longiceps. Davon war Rhamphorhynchus longiceps mit einer Flügelspannweite von maximal 1,75 Metern der Größte.
Nach Ansicht mancher Forscher soll nur die Art Rhamphorhynchus muensteri gültig sein, Alle anderen Arten seien Jugendformen unterschiedlicher Größe von Rhamphorhynchus muensteri. Dies gefällt aber nicht allen Experten.
Weitere Langschwanz-Flugsaurier im Solnhofen-Archipel sind Scaphognathus crassirostris (Wannen-Kiefer), Anurognathus ammoni (Schwanzlos-Kiefer) sowie der nach dem Fundort Brunn bei Regensburg und nach seiner Entdeckerin Monika Rothgänger aus Kallmünz bezeichnete Bellubrunnus rothgaengeri. Letzterer Winzling mit einer Gesamtlänge von nur 14 Zentimetern ist der kleinste Langschwanz-Flugsaurier in Europa.
Auch die Zahl der im Solnhofen-Archipel nachgewiesenen Arten von Kurzschwanz-Flugsauriern ist umstritten. Das hat damit zu tun, dass die Experten über die Gültigkeit der Arten der Gattung Pterodactylus (Flug-Finger) uneins sind. Der Münchner Paläontologe Peter Wellnhofer erwähnte 1970 sechs Arten: Pterodactylus antiquus, Pterodactylus kochi, Pterodactylus micronyx, Pterodactylus elegans, Pterodactylus suevicus und Pterodactylus longicollum Bei „Pterodactylus“ grandis mit einer Flügelspannweite bis zu 2,50 Metern ist unklar, welcher Gattung man diese Art tatsächlich zuordnen kann.
Zu großer Verwirrung trug der erwähnte amerikanische Paläontologe Bennett bei, als er behauptete, es gäbe nur eine einzige Art der Gattung Pterodactylus: nämlich Pterodactylus antiquus, die bereits 1812 beschrieben wurde. Andere Experten benannten Arten von Pterodactylus um. Aus Pterodactylus micronyx wurde nun Aurorazhdarcho micronyx, aus Pterodactylus kochi nun Diopecephalus kochi, aus Pterodactylus elegans nun Ctenochasma elegans und aus Pterodactylus longicollum nun Ardeadactylus longicollum.
Weitere Kurzschwanz-Flugsaurier aus dem Solnhofen-Archipel sind Gnathosaurus subulatus (Kiefer-Echse), Germanodactylus cristatus (Germanen-Finger), Altmuehlopterus rhamphastinus und Balaenognathus maeuseri (Flugsaurier mit Walgebiss), dessen Artname an den verstorbenen Bamberger Paläontologen und Museumsdirektor Matthias Mäuser erinnert.
2019/2020 stieß man im Steinbruch Störmer (Steinbruch Wallücke) bei Hille im Wiehengebirge in Westfalen-Lippe auf Flugsaurier-Spuren der Fährten-Gattung Pteraichnus aus dem Oberjura. Handabrücke sind zwischen 2,5 und 6,5 Zentimeter und Fußabdrücke zwischen zwei und zehn Zentimeter lang.
Während aus der Unterkreide vor etwa 145 bis 100,5 Millionen Jahren aus Brasilien, China und England zahlreiche Flugsaurier bekannt sind, hat man bisher in Deutschland aus dieser Zeit relativ wenige Flug-Echsen entdeckt. Ein 1954 von Kurt Wiedenroth aus Garbsen in einer Tongrube am Stadtrand von Hannover gefundener Unterkiefer wurde 1990 von dem Wirbeltier-Paläontologen Rupert Wild als Ornithocheirus wiedenrothi beschrieben und 2019 von einem Forschertrio in Targaryendraco wiedenrothi umbenannt.
2021 berichteten die Paläontologen Pascal Abel, Jahn J. Hornung, Benjamin P. Kear und Sven Sachs über einen von Karl-Heinz Hilpert gefundenen, fragmentarisch erhaltenen Flugsaurier-Unterkiefer mit Zähnen und Zahnhöhlen aus einer Tongrube von Sachsenhagen in Niedersachsen. Aus der Unterkreide stammen auch ein Fingerglied-Fragment und Kiefer-Elemente bei Sehnde in Niedersachsen sowie Zahnfunde unweit von Balve in Nordrhein-Westfalen.
Vom Vorkommen kreidezeitlicher Flugsaurier in Norddeutschland zeugt auch ein im Harrl nahe Bückeburg angefertigter Abguss eines Fußabdrucks. Über diesen Fund berichteten 2013 die Paläontologen Jahn J. Hornung und Mike Reich. Jenen Abguss schenkte der Gymnasiallehrer und Fossiliensammler Max Ballerstedt im Mai 1935 dem damals in Göttingen arbeitenden österreichischen Paläontologen Othenio Abel. Der Fußabdruck soll von einem Flugsaurier mit einer geschätzten Flügelspannweite von sechs Metern hinterlassen worden sein.
Aus der Oberkreide vor etwa 100,5 bis 65 Millionen Jahren, in der die Flugsaurier ausstarben, ist bisher aus Deutschland keine einzige Flug-Echse bekannt. Anderswo lebten damals die größten Flugsaurier der Erde mit einer Flügelspannweite bis zu zwölf Metern wie Quetzalcoatlus (Texas), Arambourgiania (Jordanien), Azhdarcho (Usbekistan) und Hatzegopteryx (Rumänien). Letzterer Riesen-Flugsaurier trug einen maximal drei Meter langen Schädel und war aufgerichtet bis zu sechs Meter hoch.
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