Bundesverwaltungsgericht zum Sonntagsschutz: Buchmacher, aber keine Callcenter - Wie heilig ist der Sonntag?
05.01.2015
Politik, Recht & Gesellschaft
Fachanwalt Bredereck: Das Bundesverwaltungsgericht hat in der letzten Woche zur Hessischen Bedarfsgewerbeverordnung entschieden. Daraufhin ging die Diskussion los, wie heilig der Sonntag ist. Wollen wir erklären, warum dieses Urteil für doch so viel Aufsehen sorgt?
Fachanwalt Dineiger: Eigentlich hat das Bundesverwaltungsgericht eine sehr wichtige Entscheidung mit arbeitsrechtlichem Bezug getroffen. Der Ansatzpunkt der Entscheidung ist § 9 Arbeitszeitgesetz. Dieser bestimmt, dass Sonn- und Feiertage arbeitsfrei zu bleiben haben. Das ist eine Grundsatznorm. Das Problem liegt allerdings daran, dass die Möglichkeit besteht, dass hiervon Ausnahmen zugelassen werden können.
Fachanwalt Bredereck: Und wie kommt dann die Klärung dieser Frage eigentlich zum Bundesverwaltungsgericht?
Fachanwalt Dineiger: Nach § 13 Arbeitszeitgesetz sind die Ausnahmen hierzu durch Rechtsverordnung der Länder zu regeln. Eine solche Verordnung ist die Hessische Bedarfsgewerbeverordnung. Gegen diese Verordnung haben die evangelische Kirche und zwei Gewerkschaften Normenkontrollklage eingereicht. Das ist ein verwaltungsgerichtliches Instrument. Kommt das in die Revisionsinstanz, dann ist der Streit eben beim Bundesverwaltungsgericht.
Fachanwalt Bredereck: Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Verordnung nur für teilweise nichtig erklärt. Daher auch der schöne Ausdruck vom fast heiligen Sonntag. Wonach unterscheidet man hier?
Fachanwalt Dineiger: Diese Unterscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist durchaus feinsinnig. Das Bundesverwaltungsgericht hat als Ansatz genommen, dass das Arbeitszeitgesetz grundsätzlich ein Beschäftigungsverbot für Arbeitnehmer an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen vorsieht. Allerdings, so das Bundesverwaltungsgericht weiter, sieht ja schon das Arbeitszeitgesetz hiervon einige Ausnahmen vor. Der weitere Ansatzpunkt ist dann die Ermächtigung für die Landesregierungen, weitere Ausnahmen zur Vermeidung erheblicher Schäden unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe für Betriebe zuzulassen, in denen die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist, soweit die Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können. Das ist natürlich schon eine sehr sperrige Definition.
Fachanwalt Bredereck: D.h. also im Klartext, es muss sich um spezifische Aufgaben handeln, die nur an solchen Tagen vorkommen können oder erledigt werden müssen?
Fachanwalt Dineiger: Ganz so streng ist die Grenze hier nicht. Der erste Prüfungspunkt ist die Befriedigung täglicher Erfordernisse. Das bedeutet also, dass Geschäfte der Grundversorgung durchaus im Verordnungswege eine Ausnahme halten können. Sehr häufig ist das schon bei Bäckern der Fall. Essen muss man täglich. Darüber hinaus können Ausnahmen zugelassen werden, wenn es sich um besondere Sonn- und Feiertagsbedürfnisse handelt. Das Bundesverwaltungsgericht meint also damit Aktivitäten oder Notwendigkeiten, die genau an solchen Feiertagen auftreten.
Fachanwalt Bredereck: Und wonach unterscheidet das Bundesverwaltungsgericht detailgenau?
Fachanwalt Dineiger: Das ist schon eine sehr feinsinnige Unterscheidung. Relativ eindeutig ist die Begründung für die Ausnahmen für Callcenter. Da sagt das Bundesverwaltungsgericht eindeutig, dass das keine täglichen Verrichtungen sind und auch nicht spezifisch an einem Sonntag vorkommen. Auch bei Bibliotheken und Videotheken sagt das Bundesverwaltungsgericht, dass auch eine Ausleihe schon am Samstag und eine Rückgabe erst am Montag erfolgen kann, ohne dass ein Schaden entsteht. Auch Lotto- und Totogesellschaften erfüllen keinen täglichen Bedarf und sind auch nicht sonntagstypisch.
Fachanwalt Bredereck: Das sind ja nun alles Beispiele, was nicht geht. Was geht denn dann an einem Sonntag? Bisher klingt das ja nach einem strikten Verbot.
Fachanwalt Dineiger: Ausnahmen sind nach dem Bundesverwaltungsgericht möglich bei der Getränkeherstellung. Hier sagt das Bundesverwaltungsgericht allerdings nicht, dass es sich um einen täglichen Bedarf handelt, sondern um wichtige Arbeiten, etwa vor Hitzeperioden. Ansonsten könnte gegebenenfalls die Versorgung mit Getränken nicht sichergestellt werden. Auch für den Bereich von Eisherstellung lässt das Bundesverwaltungsgericht offensichtlich eine Ausnahme zu. Kritisch geht das Bundesverwaltungsgericht allerdings mit der Frage des dazugehörigen Großhandels um. Das soll nicht so eindeutig und ohne weiteres zulässig sein.
Fachanwalt Bredereck: Das klingt doch eigentlich ganz vernünftig.
Fachanwalt Dineiger: Eigentlich schon. Eine etwas merkwürdige Ausnahme lässt das Bundesverwaltungsgericht allerdings für das Buchmachergewerbe zu. Die Entgegennahme von Wetten für Veranstaltungen an einem Sonntag soll zulässig sein. Das Bundesverwaltungsgericht stellt hier etwas formalistisch darauf ab, dass es sich da um Tätigkeiten handelt, die ja nur am Veranstaltungstag, also am Sonntag stattfinden. So ganz einsichtig und deutlich ist die Unterscheidung aber meines Erachtens nicht.
Fachanwalt Bredereck: Daher ist der Sonntag also nur noch fast heilig. Eine interessante Entscheidung.
03.12.2014
Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck und Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.
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