Niedergelassene Ärzte fürchten um ihre Existenz durch die geplante Bürgerversicherung
15.03.2013
Politik, Recht & Gesellschaft
(ddp direct) SPD, die Grünen und die Linkspartei wollen im Bundestagswahlkampf mit der Bürgerversicherung punkten. Private und gesetzliche Krankenversicherungen sollen darin zu einer einheitlichen Versicherung verschmolzen werden, in der alle Bürger zwangsversichert sind. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die Qualität der Gesundheitsversorgung und bedroht die Existenz vieler Leistungserbringer im Gesundheitswesen. Die finanzielle Belastung für künftige Generationen ist nicht abzuschätzen.
Die Aussagen der Ärzte auf der Messe MEDIZIN Ende Januar in Stuttgart waren eindeutig: 93 Prozent rechnen mit deutlichen Einnahmeverlusten, wenn die Honorare für Privatleistungen wegfallen. „Dreiviertel der Ärzte, die wir mit einer Fragebogenaktion auf der Messe um ihre Meinung zur Bürgerversicherung baten, gehen davon aus, Praxispersonal einsparen zu müssen, um ihre Praxis weiterhin wirtschaftlich führen zu können. Über eine Drittel – 36 Prozent – befürchten sogar ihre Praxis schließen zu müssen, wenn durch eine Bürgerversicherung die Honorare für Privatleistungen wegfallen“, berichtet Michael Ahrens, Geschäftsführer der PVS Baden-Württemberg. Wie gravierend die Auswirkungen tatsächlich sein werden, ist dabei vielen noch gar nicht klar, denn 84 Prozent fühlen sich noch nicht ausreichend über mögliche Folgen für die eigene Arbeit und die Praxis informiert.
Die Argumente für die Bürgerversicherung klingen zunächst plausibel: Wegfall der sogenannten Zwei-Klassen-Medizin, eine solidarisch finanzierte Versicherung mit gleichen Leistungen für alle Bürger. Die negativen Folgen der geplanten Einheitsversicherung für alle Beteiligten, für Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte, für Arbeitgeber und vor allem für die Versicherten selbst jedoch sind erheblich. „Eine Bürgerversicherung brächte nur Nachteile für die medizinische Versorgung aller Bürger“, zitiert Spiegel-Online den Verbandschef der privaten Krankenversicherungen, Reinhold Schulze. „Die ärztliche Therapiefreiheit würde begrenzt, der medizinische Fortschritt erschwert. Zudem würde es massive Beitragssteigerungen geben.“ Aber auch die Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen, Doris Pfeiffer – eigentlich eine Befürworterin der Bürgerversicherung, warnt: „Ohne die Konkurrenz von Privatversicherungen wäre die Gefahr, dass der Leistungskatalog auf eine minimale Grundversorgung reduziert wird, größer. In einem Einheitssystem ließen sich die Leistungen leichter reduzieren.“
Die Befürchtung ist angesichts der demografischen Entwicklung nachvollziehbar. Schon jetzt stößt die Gesundheitsversorgung immer häufiger an ihre Grenzen, weil immer weniger Arbeitnehmer immer mehr Rentner mitfinanzieren müssen. Gerade im Alter aber steigen die Krankheitskosten enorm an – eine Entwicklung, die sich weiter verschärfen wird, weil auch die durchschnittliche Lebenserwartung zunimmt. „Eine solidarisch finanzierte Krankenversicherung kann da nur mit zwei Stellschrauben gegensteuern: mit Beitragserhöhungen und mit Leistungskürzungen“, urteilt Michael Ahrens. Einen Ausgleich biete bislang die Private Krankenversicherung (PKV) mit ihrem Kapitalmarktmodell. Sicher bedarf auch die PKV angesichts der demografischen Entwicklung einer Modernisierung. Das auf zwei Säulen ruhende Modell der Krankenversicherung in Deutschland sorgt aber in jedem Fall für Wettbewerb, der verhindert, dass Leistungen so ohne weiteres aus dem Katalog der GKV gestrichen werden. Die auf der Messe MEDIZIN befragten Ärzte sahen das überwiegend genauso: 63 Prozent sind der Meinung, dass ohne Wettbewerb im Gesundheitssystem keine Spitzenversorgung möglich ist. 70 Prozent glauben zudem, dass die Qualität der Versorgung zurückgeht, wenn die Investitionen aus der PKV in Forschung und Entwicklung fehlen.
Zur Beitragsentwicklung gibt es schon jetzt beunruhigende Zahlen. Je nach Ansatz gehen Gesundheitswissenschaftler von einer Steigerung der GKV-Beiträge von heute rund 15 Prozent auf 25 bis 30 Prozent im Jahr 2050 aus – wenn die medizinischen Leistungen auf heutigem Niveau bleiben. Das trifft vor allem die nachfolgenden Generationen. Beim Alternativmodell der PKV dagegen werden für jeden der derzeit neun Millionen Versicherten ein Teil der Beiträge in sichere Kapitalanlagen investiert, die im Alter für den Anstieg der Gesundheitskosten zur Verfügung stehen - im Hinblick auf die Kinder- und Enkelgeneration ein gerechteres Modell.
Geht es nach den Plänen der Grünen und der Linken, dann soll mit der Bürgerversicherung darüber hinaus auch die Beitragsbemessungsgrenze um 48 Prozent von derzeit 44.450 auf 66.000 Euro pro Jahr angehoben werden. Vor allem die Mittelschicht wäre davon mit einem erheblichen Anstieg der Krankenversicherungsbeiträge betroffen. Bei einem Jahresverdienst von 55.000 Euro beispielsweise steigen die Beiträge um 16,3 Prozent. Außerdem sollen auch auf Kapitalerträge und Mieteinkünfte künftig mit Krankenversicherungsbeiträgen belastet werden. Auch das trifft vor allem Kleinsparer und Durchschnittsverdiener, die unter der erhöhten Beitragsbemessungsgrenze liegen und den vollen Beitragssatz von derzeit rund 15 Prozent auf jeden Euro abführen müssen. Nicht genug, auch die Zinseinkünfte mit einer Beitragspflicht zu belegen, Zudem soll die Abgeltungssteuer auf eben diese Kapitalerträge von 25 auf 30 Prozent erhöht werden. Wer also fürs Alter gespart hat, dem werden die Zinserträge um weitere fünf Prozent gekürzt. Hinzu kommt, dass mit der Einbeziehung der Beamten in die Bürgerversicherung Bund, Länder und Gemeinden künftig einen Arbeitgeberanteil in die Krankenversicherung abführen müssten. Das wird deutlich teurer als das bisherige Beihilfemodell, nach dem die Beamten einen Teil der tatsächlichen Krankheitskosten erstattet bekommen. Auch diese Mehrkosten müssen natürlich über Steuern finanziert werden. Doch damit nicht genug, in der Bürgerversicherung entstehen zusätzliche Mehrkosten, wenn die bislang privatversicherten Kinder, Studenten und nicht erwerbstätigen Ehegatten künftig die kostenlose Familienversicherung nutzen. Die steigenden Kosten der Bürgerversicherung sollen durch jährliche Zuschüsse in Höhe von 15 Milliarden Euro aus der Staatskasse ausgeglichen werden, so die Pläne der Parteien. Das sind derzeit 590 Euro für jeden Lohn- und Einkommensteuerzahler, die dann nicht als Krankenkassenbeitrag abgezogen werden, sondern als Steuer anfallen.
Auch die niedergelassenen Ärzte fürchten zu Recht um ihre Existenz. Denn in der Konsequenz führt die Einführung der Bürgerversicherung zur Abschaffung der PKV. „Heute aber tragen zehn Prozent der Privatversicherten über 26 Prozent der Umsätze in den Arztpraxen. 10,8 Milliarden Euro Mehrumsatz kommen dabei zusammen“, so der Geschäftsführer der PVS Baden-Württemberg Michael Ahrens. Das gilt natürlich genauso für die Krankenhausfinanzierung, zu der die Privatversicherten mit ihren höheren Gebührensätzen einen wichtigen Beitrag leisten.
Dem gegenwärtigen Zwei-Säulen-Modell aus GKV und PKV wird immer wieder vorgeworfen, es fördere eine Zwei-Klassen-Medizin. Beispiele aus Ländern mit einer staatlich kontrollierten Einheitsversicherung, wie Großbritannien, zeigen dagegen, dass sich gerade hier eine Zwei-Klassen-Medizin bildet. Die steigenden Gesundheitskosten sorgen dafür, dass die Leistungen der Krankenversicherung auf ein Basisniveau immer weiter reduziert werden. Dies führt zu langen Wartezeiten, dem Wegfall von Behandlungen, die heute gerade für ältere Menschen noch durchgeführt werden, bis hin zu Schließungen von Praxen und Kliniken aus Kostengründen. Daneben entsteht ein Markt für hochwertige Gesundheitsdienstleistungen, den sich nur noch die Wohlhabenden leisten können.
„So positiv der Begriff Bürgerversicherung zunächst klingt, so problematisch werden die Pläne von SPD, Grünen und Linken jedoch, wenn man die Details betrachtet“, urteilt Ahrens. Fast alle Ärzte, die an der Umfrage der PVS Baden-Württemberg teilgenommen haben, sind daher der Meinung, dass es wichtig ist, die Bevölkerung über die Folgen der Einführung der Bürgerversicherung aufzuklären. 85 Prozent der Ärzte wünschen sich zudem selbst genauere Informationen über die Pläne zur Finanzierung der Bürgerversicherung.
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