Was hat uns die bisherige Agrarpolitik beschert? Eine Bilanz
16.02.2011
Umwelt & Energie
Herwig Klemp, http://www.Landsicht.net
Zunächst in ihrer bundesdeutschen Variante und später als Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) verfolgte die Landwirtschaftspolitik stets zwei oberste Ziele: Lebensmittel sicher verfügbar zu machen - und billig.
In den Wirtschaftswunderjahren der Nachkriegszeit sollten Lebensmittel möglichst wenig kosten, damit den Bürgern mehr blieb für andere Konsumbereiche: etwa Wohnen, Auto, Reisen. Das Augenmerk lag auf der Förderung des Wirtschaftswachstums vor allem durch steigenden Inlandskonsum. In neuerer Zeit sollen die Preise vor allem gedrückt werden, um den Export landwirtschaftlicher Produkte ausbauen und mit den niedrigen Erzeugerpreisen in Entwicklungsländern konkurrieren zu können. In einem Industrieland mit hohen Lohn- und Lohnnebenkosten ist die Herstellung extrem billiger Lebensmittel aber nur möglich in stark automatisierter und spezialisierter Massenproduktion.
Billige Nahrung für das Volk: Das Ziel ist erreicht. In Deutschland geben wir nur noch etwa 10 % eines Durchschnittseinkommens für Lebensmittel aus: so wenig wie nie. Zu Goethes Zeiten waren es noch 50 %. Und in den armen Ländern dieser Welt müssen die Menschen 80 % oder mehr für ihre Grundnahrungsmittel ausgeben.
Zudem brummen die Agrarexporte. Von 2000 bis 2010 ist die Exportquote der deutschen Landwirtschaft von 17 auf 26,4 % gestiegen. Das bedeutet: Gut 26 % der in Deutschland erzeugten Lebensmittel wurden exportiert. Wichtigste Exportwaren: Fleisch und Fleischwaren, Milchprodukte und Süßwaren.
Mit 2,19 Millionen Tonnen exportiertem Schweinefleisch erreichte diese Branche 2008 ihr bisheriges Rekordergebnis: 40 % des bei uns erzeugten Schweinefleisches gingen in den Export! Damit war Deutschland in diesem Sektor Vizeweltmeister nach den USA. Solche Exportergebnisse werden im Umfeld der Schweinefleischexporteure und in der Agrarpolitik als zukunftsweisend gefeiert. Aber: Im gleichen Rekordjahr 2008 haben 14.000 deutsche Schweinemäster ihre Ställe schließen müssen. Das war jeder sechste. Die Zahl der bei uns gehaltenen Schweine minderte sich dabei vorübergehend für ein Jahr marginal um 1,1 %, um in den Jahren 2009 und 2010 weiter anzusteigen. Schweinefleisch-Export auf Rekordniveau, Schweinebestand knapp gehalten, über 16 % der Schweinemäster auf der Strecke geblieben.
Und wie sieht es in den von uns eroberten Märkten aus? Ein Beispiel: Laut Evangelischem Entwicklungsdienst (EED) exportierte die EU im vergangenen Jahrzehnt massiv Schweinefleischreste in die Elfenbeinküste. Von 2000 bis 2006 stieg die dortige Importmenge von 5.000 auf 35.000 Tonnen. In der Folge brach die lokale Produktion zwischen 2000 und 2009 von etwa 18.000 auf 5.000 Tonnen ein.
Beziehen wir in dieses Beispiel noch ein, dass wir einen großen Teil des Tierfutters (Soja) für unsere durchrationalisierten Massentierhaltungen beispielsweise aus Südamerika einführen müssen, so wird deutlich: Die nur durch intensive, spezialisierte und rationalisierte Landwirtschaft ermöglichte Strategie der Exportsteigerung schadet unseren heimischen Bauern, schadet den Bauern in den von uns heimgesuchten Ländern und ist kein Beitrag zur Linderung des Hungers auf dieser Welt. Eher erschweren wir den Menschen in den ärmsten Ländern ihren Weg zur Selbstversorgung, indem wir durch Billigimporte ihren heimischen Produzenten das Leben schwer machen oder durch unsere Futtermittelimporte die dortigen Großgrundbesitzer zu Lasten der Kleinbauern stärken.
Um als Industrienation bei dicht bevölkerter Fläche die inzwischen erreichte Exportposition bei Fleisch- und Milchprodukten zu erreichen hat die Agrarpolitik die einstigen Rundum-Bauernhöfe mit Ackerbau, Viehzucht, Obst- und Gemüsebau als Auslaufmodelle behandelt. Gleichzeitig wurden Boden, Luft und Wasser und die Natur zur praktisch beliebigen Verwertung freigegeben. Erst wenn es um Pflanzen, Tiere, Lebensräume oder Grundwasser augenscheinlich sehr schlecht stand hat die Politik sich bequemt, Gesetze zum Schutz der Restbestände und jetzt plötzlich kostbar gewordenen Ressourcen zu erlassen.
Nutzungseinschränkungen durch Gesetze aber machen bei den betroffenen Interessengruppen unbeliebt. In vielen Bereichen setzt die Politik deshalb seit Jahrzehnten auf freiwillige Umwelt- und Naturschutzmaßnahmen. Das Prinzip: Wer nicht wie seine Nachbarn die Umwelt gnadenlos, aber nach geltendem Recht und Verständnis völlig legitim ausbeutet, sondern schonend mit ihr umgeht, dem werden seine dadurch entgangenen Einnahmen ersetzt. Natürlich sind die Mittel für solcherlei "Ausgleichszahlungen" begrenzt und auf Dauer unsicher. Auch erfordert es einen ungeheuren Aufwand, die Restbestände intakter Ressourcen im Auge zu behalten und ständig steuernd und kontrollierend einzugreifen. Aber die vom deutschen Bauernverband ständig kritisierte Bürokratisierung und Überwachung ist nur die notwendige Konsequenz einer Raubbau-Ausgleichsphilosophie.
Trotz Förderung einer immer intensiveren und technisierteren Landnutzung und Druck auf die Erzeugerpreise: Im Vergleich zu den Preisen auf den von der EU ins Visier genommenen Märkten waren und sind unsere Erzeugerkosten zu hoch. Da mussten Exportsubventionen aus Steuergeldern her, um unsere Erzeugnisse in die Märkte zu drücken. Solche direkten Exportsubventionen wurden durch die internationale Staatengemeinschaft zwar eingeschränkt, aber noch immer nicht verboten.
Dumm sind wir Europäer ja nicht. In ständigen Agrarreformen haben wir auf wechselnde Rahmenbedingungen reagiert. Bei der letzten Agrarreform hat die EU folgendes eingeführt:
Jeder landwirtschaftliche Betrieb bekommt für jeden Hektar bewirtschafteter Fläche einen bestimmten Betrag als "Direktzahlung" aus Brüssel. In Deutschland sind das derzeit im Durchschnitt etwa 330,- Euro pro Jahr. Für den durchschnittlichen Betrieb macht das etwa die Hälfte seines gesamten Jahresgewinnes aus - und bei den viel zu niedrigen Erzeugerpreisen und den schwachen Einkommen in der Masse der Betriebe ist diese Unterstützung der sogenannten 1. Säule der Agrarpolitik zum Überleben notwendig.
Nun hätte die internationale Staatengemeinschaft sagen können: Diese Direktzahlungen sind eine verdeckte Exportsubvention. Ihr könntet eure Exportpreise nie auf das nötige Niveau drücken, wenn ihr euren Bauern nicht diese 330,- Euro pro Hektar und Jahr aus Steuermitteln zahlen würdet.
Solche Argumente hat die EU wahrscheinlich vorausgesehen und die Direktzahlungen an die Einhaltung bestimmter Umwelt- und Bewirtschaftungsauflagen gebunden. Bei Verstößen gegen die Auflagen des sogenannten Cross Compliance droht den Bauern eine Minderung oder gar der Entzug der Direktzahlung für die betroffenen Flächen.
Nun kann die EU den genannten Vorhaltungen entgegnen, ihre Bauern erhielten das Geld ja nur, weil sie viel höhere Umweltschutzauflagen einhalten müssten als die Bauern sonst irgendwo auf der Welt. Deshalb seien sie benachteiligt und deshalb müssten sie diese Ausgleichszahlungen bekommen.
Wie auch immer es in anderen Teilen der Welt aussehen mag. Leider reichen die Umweltauflagen des Cross Compliance bei Weitem nicht aus, unsere Umwelt und Natur tatsächlich vor weiterem Niedergang zu bewahren.
Daran ändert auch die 2. Säule der Europäischen Agrarpolitik bislang wenig: Über diese Schiene können gezielte Agrarumweltmaßnahmen gefördert werden, werden aber auch Investitionsbeihilfen gewährt, die ländliche Infrastruktur ausgebaut etc. Im Gegensatz zu den Direktzahlungen der 1. Säule werden die Maßnahmen der 2. Säule gemeinsam von der EU und dem Staat oder Bundesland bezahlt, in dem die Maßnahme läuft. Typische Agrarumweltmaßnahmen sind der Erhalt von Grünland in bestimmter Qualität oder Ackerrandstreifenprogramme. Bei letzteren werden Randstreifen von Äckern und Feldern nicht gespritzt, werden evtl. sogar Blütenpflanzenmischungen ausgesät, um Bienen, Schmetterlingen, Feldlerche, Rebhuhn und Hasen in der ansonsten monotonisierten Agrarlandschaft noch etwas Nahrung und Lebensraum zu lassen.
2010 teilten sich in Deutschland etwa 374.500 landwirtschaftliche Betriebe ca. 5,5 Milliarden Euro Direktzahlungen der 1. Säule. Rein statistisch entfielen damit auf jeden landwirtschaftlichen Betrieb 14.600 Euro. De facto sah die Verteilung deutlich anders aus: 30 % der gesamten Zahlung ging an 1,6 % aller Betriebe. Knapp 6.000 Betriebe teilten sich somit 916.666 Euro. Im Durchschnitt erhielt jeder dieser Betriebe 275.000 Euro.
Andererseits teilten sich 80 % aller Betriebe 27 % der Direktzahlungen. Das sind 1,5 Milliarden Direktzahlungen durch 281.730 Betriebe. Deren Durchschnitt lag also bei 5.300,- Euro.
50 % der deutschen landwirtschaftlichen Betriebe, also 187.250 Höfe, haben weniger als 20 ha Land. 80% der Betriebe bewirtschaften nur ein gutes Viertel ( 26%) der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland. Das bedeutet: 20 % der Betriebe nutzen fast drei Viertel der Landwirtschaftsfläche. Man muss wohl sagen: Für diese Betriebe engagiert sich die deutsche Landwirtschaftspolitik.
Das also ist das Fazit der bisherigen Landwirtschaftspolitik in Deutschland und in der EU:
Massives und langanhaltendes Höfesterben, wobei die übrig gebliebenen Betriebe immer größer werden und sich durch zunehmende Spezialisierung, Automatisation und ansteigenden Chemieeinsatz auszeichnen. Sie tragen die Produktion für den Export. Die Stärken unseres Agrarexportes liegen dabei in der Fleisch- und Milcherzeugung, also in den Bereichen, die durch Massentierhaltung in Mega-Stallungen und durch Automatisation für die industrielle Landwirtschaft besonders geeignet sind.
Hochgradig belastend ist diese exportorientierte Massentierhaltungs-Landwirtschaft für das Klima. Sie schadet den kleineren Bauern bei uns und behindert die Bekämpfung des Hungers in vielen unserer Exportmärkte. Sie stärkt die Großbauern, die Agro-Chemie und die Gentechnik in den Ländern, aus denen wir Soja importieren. Sie belastet und zerstört unsere heimische Umwelt und Natur.
Mehr Infos rund um die Landwirtschaft und insgesamt "Das Land vor meiner Tür" auf http://www.Landsicht.net . Dort finden Sie auch diesen Artikel mit Quellenangaben und Verweisen auf ausführlichere Informationen.
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Herwig Klemp
Im Ort 4 26203 Wardenburg
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