Selbstbestimmungsrecht nicht geschützt
08.12.2020
Vereine & Verbände
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit ist eine Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts (BT-Drucksache 19/24445) auf dem Weg. An dem Gesetzentwurf, der am 26.11.2020 in einer Ersten Lesung im Deutschen Bundestag behandelt wurde, kritisiert die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) einen darin vorgesehenen Paradigmenwechsel. Die Neufassung sieht ein automatisches Ehegattenvertretungsrecht vor, das es bislang nicht gab. Dieses Recht soll für den Zeitraum von drei oder vielleicht sogar sechs Monaten gelten, wenn ein Mensch nicht für sich selber sprechen kann und es keine anderslautende Vollmacht gibt. DGHS-Präsident RA Prof. Robert Roßbruch mahnt an: "Das automatische Ehegattenvertretungsrecht mag auf den ersten Blick einleuchtend und alltagspraktisch erscheinen, birgt jedoch große Tücken in sich." Nicht jede Ehe ist in sich so harmonisch, dass eine automatische Vertretung durch den jeweiligen Ehegatten zum eigenen Wohl dient. Die Verantwortung für Leben und Wohl eines hilfsbedürftigen Bürgers trifft den Staat und nicht den anderen Ehegatten, es sei denn, der hilfsbedürftige Ehegatte hätte ausdrücklich ein derartiges Vertretungsrecht gewünscht. Aus der Eheschließung auf Vertretungsmacht zu schließen, ist jedenfalls ein Rückfall in die 60er Jahre. Denn ein solches gesetzliches Verständnis von Ehe ist personaler Unselbständigkeit verhaftet und hat in einem modernen Vormundschafts- und Betreuungsrecht nichts zu suchen.
Roßbruch: "Viele Rechte und Pflichten in einer Ehe sind zwar durch das Bürgerliche Gesetzbuch geregelt, ohne dass es einer Zusatzvereinbarung bedarf. Doch gerade die Notwendigkeit einer explizit vorliegenden Vorsorgevollmacht für den Fall der Nichteinwilligungsfähigkeit in medizinische Maßnahmen hat eine wichtige Schutzfunktion für das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen." In der täglichen Beratungspraxis mit Schwerstkranken und deren Angehörigen beobachtet Roßbruch immer wieder, dass zum Teil recht abenteuerliche Ideen kursieren, was der nichteinwilligungsfähige Ehegatte wohl wollen würde und der andere nun für ihn durchführen möchte.
Die DGHS fordert daher die Mitglieder des zuständigen Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz auf, das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts im Hinblick auf ein automatisches Ehegattenvertretungsrecht nochmals zu überdenken.
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